© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Für das Gewicht der Wirklichkeit
Über das Konservative im zweiten Band des Lepanto-Almanachs
Werner Olles

Den zweiten Band des „Lepanto-Almanach“ mit dem Schwerpunkt des Verhältnisses zwischen Philosophie, Theologie und Dichtkunst eröffnet der Philosoph Christoph Böhr mit einem Grundlagen-Beitrag über den Begriff „Konservatismus“. Der Konservative habe eine tiefe Sehnsucht nach einer Ordnung des Lebens, was ihn nicht hindere, gelegentlich in eine Anarchie des Denkens zu flüchten. Aus diesem Grund sei auch der Begriff „Konservative Revolution“ so selbstwidersprüchlich, wie es ihre damaligen Vertreter waren. Das Recht verstehe er in dem Sinne, daß er in der Welt an Gott denkt, wenn vom Recht des Menschen die Rede ist, denn der Konservative sei meist ein Skeptiker mit einem Gefühl und Gespür für das Gewicht der Wirklichkeit, des Gewachsenen, auch des Vergangenen. Daher bedeute Konservatismus vor allem eine Anthropologie und erst dann eine Politiktheorie: „Eine organisierte politische Strömung ist er in Deutschland jedenfalls seit Jahrzehnten nicht mehr – wenn er es denn überhaupt jemals war.“

Der Theologe Thomas Möllenbeck beschreibt John Henry Newmans Sicht der „Christlichen Literatur“, während der Kulturwissenschaftler und Schriftsteller Uwe Wolff sich in seinem Beitrag „Allein den Betern kann es noch gelingen“ den reformierten Pfarrer Walter Nigg (1903–1988), vorstellt, der das Bild Reinhold Schneiders durch fünf biographische Portraits geprägt hat. Nigg, der die geistigen Ruinen der späten 1960er Jahre als „moralisches Trümmerfeld ohnegleichen“ bezeichnete, gegen das entstehende Linkskartell und die „demonstrierende Jugend“ schoß, verschonte auch die Kirche nicht, deren Zeugnis von „verworrener Dürftigkeit“ sei, geprägt von Ratlosigkeit, Sinnentleerung und Substanzverlust. 

Der Schweizer Theologe wetterte gegen die Ökumene und zitierte Schneider, die Ökumene sei bei Gott im Himmel verwirklicht, daher liege die „Erreichung dieses Zieles nicht in unseren Kräften“, so Nigg. Bildungsverlust und Traditionsbruch lagen noch jenseits seiner Vorstellungskraft, wurden jedoch zur Normalität einer aus den Fugen geratenen Zeit. Die Studentenunruhen waren aus der Sicht Niggs ein Vorspiel des Terrorismus der RAF. Alt und Jung hatten das gemeinsame Erbe des Abendlandes aus den Augen verloren. Wie Schneider verstand auch Nigg, daß keine „Freude (herrsche) auf das, was kommt“, sondern die atemlose Panik einer Greta Thunberg, einer gestörten Pubertierenden.

Weitere lesenswerte Beiträge befassen sich mit dem „Ausbruch aus dem öden Land der Sinne“ (Hartmut Sommer), Michael Riegers „Ungeordneten Notizen zur Literatur“, Daniel Zöllners „Ursprungsgeschichte des Bewußtseins“ und Christoph Fackelmanns „Problem und Genre der Zeitkritik“.

Michael Rieger, Till Kinzel und Christoph Fackelmann (Hrsg.): Lepanto-Almanach. Jahrbuch für Christliche Literatur und Geistesgeschichte. Band 2., Lepanto Verlag, Rückersdorf 2021, broschiert, 415 Seiten, 18,90 Euro