© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Von Miethühnern und Alpakas
„Urban Farming“: Die Nutztierhaltung im eigenen Garten liegt im Trend
Bernd Rademacher

Oma hielt früher noch eine kleine Hühnerschar hinterm Haus. Irgendwann waren die Tage jedes Federviehs gezählt, dann rückte Oma mit dem Handbeil an und legte den Delinquenten auf den Hauklotz. Bald darauf gab es Hühnersuppe und Frikassee.

Diese private Mikro-Nutztierhaltung in der Stadt hat lange Tradition, vom „Stallhasen“ bis zu „Balkonschweinen“. Im Ersten Weltkrieg warb die Propaganda für die Haltung einer Ziege als „Kuh des kleinen Mannes“, und im Ruhrgebiet hielt so mancher Arbeitersiedlungsbewohner neben den berühmten Tauben ein Ferkel oder gleich eine stramme Sau im winzigen Garten hinterm Haus.

Das erscheint in unserer globalen Konsumwelt vollkommen anachronistisch. Der Verbraucher ist vom Erzeugungsprozeß von Fleischprodukten völlig entkoppelt. Vor zehn Jahren drehten bei Lübeck Eltern einer Grundschulklasse völlig durch, als in einer „Steinzeit-Projektwoche“ ein Kaninchen geschlachtet wurde. Sich mit der Herkunft der Frühstückssalami auseinanderzusetzen, kann daher grundsätzlich nicht schaden.

Doch kommt nun Omas Hühnerhaltung als neuer Trend „Urban Farming“ zurück? Nach „Urban Gardening“ im städtischen Hochbeet und der Imkerwelle unter urbanen Hipstern berichten jetzt immer mehr Magazine über das Glück des eigenen Huhns.

Prinz Harry und Meghan haben schon welche, Nachrichtensprecherin Judith Rakers und Moderatorin Barbara Schöneberger ebenfalls, und nun hat auch Verona Pooth endlich Promi-Hühner: Bibo, Gingy, Flick Flack, Polloito und Hahn Chicco. Sie habe sich beim Fotoshooting für ein Bauernhof-Computerspiel in Hühner verliebt, berichtet Pooth im Boulevard-Interview.

Doch bevor es nun „jeden Morgen frische Bio-Eier“ gibt, wie die „Prominente“ enthusiastisch prophezeit, gibt es eine Menge zu beachten: Hühner benötigen geeignetes Futter und Trinkwasser, sie ruinieren den Rasen, nehmen gerne Sandbäder, werden von Parasiten befallen und brauchen Schutz vor Marder und Habicht. Zudem ist sicher nicht jeder Nachbar begeistert von Kot, Geruch und Gegacker.

Federvieh zum Mieten, samt Stall und Lieferung

Hühner gelten grundsätzlich als Kleintiere, die auch in Wohngebieten genehmigungsfrei gehalten werden dürfen. Sie sind jedoch beim Veterinäramt meldepflichtig. Bei Nichtmeldung drohen empfindliche Ordnungsstrafen. Laut Gerichtsurteilen dürfen Hähne im Wohnblock erst ab acht Uhr morgens krähen, sonn- und feiertags erst ab neun Uhr. Viel Erfolg dabei, dem Hahn das Lesen der Uhr beizubringen. Da Hühnerhaltung immer mehr zum Breitenhobby wird, müssen sich deutsche Gerichte zunehmend mit Streits um Hahnengeschrei beschäftigen.

Für die artgerechte Unterbringung bieten Haustier-Ausstatter wie Omlet.de feste und mobile Ställe in allen Ausführungen vom Typ sozialer Wohnungsbau bis zur richtigen „Luxusvilla“ für die Hühner von Verona Pooth & Co.

Wer lieber erstmal üben will, kann sich sogar Hühner ausleihen. Kein Witz: Auf www.mieteeinhuhn.de gibt es Hühner mit eingezäuntem Stall und Einweisung für Anfänger rund um Bremen und Hamburg. Das Rundum-sorglos-Paket besteht aus fünf Legehennen, Stall und Einstreu plus Futterautomat und Tränke, inklusive Auf- und Abbau. Die Eier sind natürlich inbegriffen. Nach Ende des Mietverhältnisses übernimmt der Anbieter sogar die Endreinigung des Stalls. Und dank des patentierten Thermo-Hühnerstalls „Eglo Cube“ kann man das Mietvolk sogar im Winter halten. Einzige Voraussetzung: ca. 25 Quadratmeter Garten. Das Paket kostet durchschnittlich 100 Euro pro Woche bei zwei Wochen Mindestmietdauer. Inzwischen gibt es ähnliche Anbieter in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und sogar in Berlin (www.hauptstadthuhn.de).

Die Kunden sind begeistert und die Wartezeiten bereits entsprechend lang. Die Hühner on tour sind ausgebucht. Zu den glücklichen Mietern zählen auch Kitas und Seniorenheime.

Wem Witwe Boltes Federvieh zu unspektakulär ist und wer bei den Nachbarn richtig punkten will, steigt gleich in die Königsklasse der neuen Nutztierhaltung ein und schafft sich Alpakas an. Die zotteligen Kamel-Verwandten aus den Anden sind mit mehreren tausend Euro pro Exemplar der Ferrari unter den Heimtieren. Dafür können sie ihren hohen Anschaffungspreis durch den Verkauf der gefragten Luxuswolle (bis 100 Euro pro Kilo) langfristig refinanzieren. Alpakas leben rund 20 Jahre.

Doch die Mini-Lamas sind nicht nur „sooo süüüß“, sondern auch eigenwillig: Sie hassen Kuscheln und können auf Annäherungsversuche aggressiv reagieren. Da die Einzelhaltung der geselligen Südamerikaner als Tierquälerei verboten ist, schreibt der Gesetzgeber eine Mindestgröße von tausend Quadratmetern für ein Paar vor – hier wird der neue Trend im Ballungsgebiet zum Reichenhobby. Vielleicht fängt man doch besser mit Hühnern oder Kaninchen an.

Fotos: Ein kleines Mädchen hält eine Henne in den Armen: Es kann nicht schaden, sich mit der Herkunft und den Produktionsprozessen von Fleischprodukten auseinanderzusetzen; Hühnerstall-Angebot von Omlet.de: Andere Sorglos-Pakete beinhalten sogar eine Reinigung