© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Thomas Mertens. Der Leiter der Ständigen Impfkommission gehört zu den wenigen, die der Politik die Stirn bieten.
Fels in der Brandung
Mathias Pellack

Es gibt Menschen, die die Öffentlichkeit suchen, die wie Karl Lauterbach in Talkshows sitzen und in Sachen Corona warnen und mahnen, mit Phrasen vor theoretisch möglichen „exponentiellen Verläufen“, vor „explosionsartiger Verbreitung“ und einer „enormen Steigerung der Zahlen“, die so die Medien mit der gesuchten Erregung füttern und der Öffentlichkeit angst machen. Und es gibt Menschen, die auch während der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (Bundestag) ihre Arbeit gewissenhaft tun, die Fakten prüfen, sich Daten und Studien anschauen – und erst dann vor die Öffentlichkeit treten.

Der Chef der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Wissenschaft der Politik eine ehrliche Magd sein kann. Der Ulmer Virologe steht der Stiko seit 2017  ehrenamtlich vor, die 1972 im Bundesgesundheitsamt eingerichtet wurde, um unabhängige Impfempfehlungen zu geben. Ihre Entscheidung macht die Politik in der Regel zur Leitlinie.

Nun aber stößt Gesundheitsminister Jens Spahn die Diskussion in Sachen Kinderimpfung wieder an. Doch Mertens versichert, auch die erneute Debatte werde die Empfehlung der Stiko – Impfung nur von 12- bis 17jährigen mit bestimmten Vorerkrankungen – nicht ändern, denn „die hat sich bisher streng an evidenzbasierte und wissenschaftliche Standards gehalten und das werden wir auch weiterhin so machen“.
Daß Mertens es wagt, der Politik zu widersprechen, ist nur damit zu erklären, daß er bereits im Ruhestand ist.

Daß seine feste Haltung kein Zufall ist, bewies der 1950 in Freiburg im Breisgau geborene Mediziner, als er bereits im Mai 2020 gegenüber dem Spiegel darauf beharrte: „Wir können nicht auf ausreichende Impfstoffprüfung verzichten, nur weil es jetzt drängt!“ Impfstoffe gab es da noch keine und die Gefahr durch Sars-CoV-2 konnte noch nicht präzise eingeschätzt werden. Dafür wirkten die Bilder aus China noch verstörend nach.

Seit Wochen wehrt er sich nun wieder offen gegen Einflußnahme aus der Politik. Denn auch der medial omnipräsente Lauterbach, Markus Söder sowie SPD-Chefin Saskia Esken drängen, Jugendliche und Kinder generell zum Impfschuß freizugeben respektive zu empfehlen. Mertens stellt sich unbeirrt dagegen: „Die Stiko ist im Gesetz als unabhängige Kommission angelegt, die laute Einmischung der Politik ist kontraproduktiv!“ Und in der Tat ist die Datenlage, die eine Wirksamkeit der Impfung in dieser Altersgruppe belegen soll, äußerst dünn, zumal die Gefahr für diese sehr gering ausfällt.

Daß Mertens nicht nur abblockt, sondern zuletzt Lauterbach auch offen widerspricht, das ominöse „Long Covid“-Syndrom gebe es bei Kindern nicht, kann nur damit erklärt werden, daß der 71jährige im Ruhestand ist, also nichts zu fürchten hat. Überhaupt sei es „von Vorteil, daß ich Pensionär bin“, erklärte Mertens, der mit Frau im bayerischen Neu-Ulm lebt, in der Rheinischen Post. „Ein Institutsleiter könnte das nebenher in diesem Umfang wie ich derzeit kaum schaffen.“ Er weiß, was er sagt, hatte er von 1998 bis 2018 doch in Ulm einen Lehrstuhl inne und war Ärztlicher Direktor des ans Uniklinikum angeschlossenen Instituts für Virologie.

„Ich hatte seit meiner Pensionierung noch nie das Gefühl, im Ruhestand zu sein“, so Mertens. Klagen aber will er nicht. Nur seine regelmäßigen Klarinettenstunden fehlen dem Hobbymusiker. Vielleicht wäre ein solcher Ausgleich auch für die Mahner und Warner in der deutschen Politik erholsam.