© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Ländersache: Sachsen
Im Vorbeifahren gedatet
Paul Leonhard

Irgendeinen erwischt es immer. „Armer Kerl“ mögen dann die anderen Berufskraftfahrer denken, wenn sie an dem Sattelschlepper mit osteuropäischen Kennzeichen vorbeiziehen, den die Polizei zur Kontrolle auf einen Parkplatz gelotst hat. Meist sind die Mängel mit bloßem Auge zu erkennen. Den herbeigerufenen Gutachtern stehen bei näherer Betrachtung der Lastwagen, so die beliebte Formulierung im Polizeibericht, ob der Schäden die „Haare zu Berge“: nicht funktionierende Bremsen, abgefahrene Reifen, ausgeschlagene Getriebe, lekkende Motoren, ungenügend gesicherte Ladung, diese überdies zu hoch, zu breit, zu schwer oder falsch deklariert.

Statt in mehr Beamte zu investieren, um die Tag für Tag nach Deutschland rollenden Zeitbomben zu entschärfen, setzen die Minister lieber auf teure Innovationen. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) erscheint die erfolgreiche Überprüfung verdächtiger Lkw auf der Grundlage optischer Auffälligkeiten bei einem Zwangshalt überdies als diskriminierend. Schließlich werden überwiegend osteuropäische Fahrer kontrolliert. Er wünscht sich
objetkivere und schnellere Kontrollen.

Und diese ermöglicht jetzt ein System mit der Bezeichnung „Dedicated Short Range Communication“ (DSRC), das im Freistaat mit seinen Grenzen zu Polen und Tschechien seit diesem Jahr flächendeckend im Einsatz ist. Dank DSRC können die Beamten aus ihrem Fahrzeug heraus die digitalen Fahrtenschreiber der vorbeifahrenden Lkw auslesen.

Auf der Grundlage der so zu erfassenden 19 Basisdaten wie Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer, Achslasten, Kalibrierungen, Geschwindigkeiten, Unterbrechnungen der Stromversorgung und Sensorstörung „gelingt es uns, auch Fahrzeuge zu kontrollieren, die vermeintlich optisch unaufällig sind“, freut sich Wöller. „Als Verkehrspolizei können wir noch zielgenauer und erfolgreicher arbeiten und beweisen einmal mehr, daß die sächsische Polizei mit der fortschreitenden Technik Schritt hält“, stimmt Frank Wobst, Leiter der Verkehrspolizeiinspektion Görlitz, seinem Dienstherren zu. Allein auf den Bundesautobahnen im Bereich der Polizeidirektion Görlitz hat sich die Anzahl der Lkw von 5.693 pro 24 Stunden im Jahr 2010 auf 10.820 im vergangenen Jahr verdoppelt. Das neue System sei „ein Beitrag zu mehr Sicherheit auf unseren Straßen“.

Was beide nicht sagen: Das System kann auch bei der automatischen Mauterfassung auf den Autobahnen zugeschaltet werden. Doch digitale Fahrtenschreiber, so genannte Smart-Tachos, sind erst ab dem 15. Juni 2034 für alle in der EU zugelassenen Lkw, die im internationalen Verkehr unterwegs sind, erforderlich. Die Pflicht für digital genutzte Tachographen besteht zwar seit 2006, aber nur für neu zugelassene Lkw. Das Durchschnittsalter der aus Osteuropa kommenden Lkw liegt jedoch weit darüber. So können die verkehrsunsicheren Sattelzüge an den analysierenden Beamten vorbeifahren.

Trotzdem steigt deren Erfolgsquote. Werden bei einem Lkw Unregelmäßigkeiten in den Daten erfaßt, ist es sehr wahrscheinlich, daß etwas nicht stimmt. Wöller träumt derweil von einem Chip, der „beim Durchfahren den Alkoholgehalt im Blut des Fahrers mißt“.