© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
In Gummistiefeln siegen
Paul Rosen

Die Bundestagswahl 2002 wurde im Elbe-Hochwasser entschieden. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) sah man in Gummistiefeln und mit Regenjacke durch das Katastrophengebiet ziehen; sein damaliger Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) blieb zunächst zu lange im Urlaub an der Nordsee. Und als Stoiber in das Überschwemmungsgebiet kam, wirkte er in seinem Sommershirt so, als habe er den Urlaub nur kurz unterbrochen.

Die Bilder dürften Stoiber um die Siegchancen gebracht haben, sind heute die meisten Beobachter des Geschehens überzeugt. Bei aller Trauer und allem Respekt vor den Opfern der Überschwemmungskatastrophe in Westdeutschland stellt sich erneut die Frage, ob diese größte Naturkatastrophe der letzten Jahrzehnte die Politik in Berlin oder sogar die politische Plattentektonik verändern könnte. Neun Jahre nach der Elbeflut war es eine Naturkatastrophe, die zu einem Richtungswechsel der Berliner Politik führte. Nachdem ein Tsunami für massive Schäden am japanischen Atomkraftwerk Fukushima sorgte, änderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Energiepolitik und rief den Ausstieg aus der Kernenergie aus.

Nachdem Merkel jetzt bei einem Besuch im Krisengebiet die „gespenstischen Bilder“ gesehen hatte, versprach sie nicht nur schnelle Hilfe, sondern mehr Engagement für den Klimaschutz. Wer Merkel und ihre Art zu regieren kennt, weiß, daß daraus ganz schnell eine Kehrtwende auf dem ein oder anderen Politikfeld werden kann und der Wahlkampf für die Bundestagswahl am 26. September auf einmal von ganz anderen Themen als von Corona und Wirtschaftskrise bestimmt wird.

Bilder und Videos prägen heutzutage ganz entscheidend politische Entwicklungen mit. Wie 2002 wird auch im gerade laufenden Bundestagswahlkampf erwartet, daß die Kanzlerkandidaten in das betroffene Gebiet fahren. In diesem Wahlkampf gibt es drei Kanzlerkandidaten. Am klügsten verhielt sich die von überwiegend selbst verschuldeten Pleiten und Pannen verfolgte Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock. Sie fuhr zwar nach Rheinland-Pfalz, nahm aber keine Presse mit. Somit konnte kein öffentlich sichtbarer Fehler passieren.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz  wickelte seinen Besuch geschäftsmäßig ab. Er dürfte davon ausgehen, daß seine Stunde schlagen wird, wenn er als Berliner Oberkassenwart die vermutlich schnell kommenden Hilfsmaßnahmen in Milliardenhöhe zusammenstellen kann. CDU/CSU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat jetzt ein Problem. Bei einer Ansprache von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Katastrophengebiet sah man Laschet im Hintergrund längere Zeit lachen und feixen, als wäre er im Karneval, während der Bundespräsident den Helfern den „tief empfundenen Dank“ ausrichtete.

Die Kritik war gewaltig. Laschet mußte sich entschuldigen. Es half auch nichts, daß kolportiert wurde, auch der Bundespräsident habe an einer Stelle gelacht. Kanzlerkandidat Laschet hat an diesem Tag den Eindruck mangelnder Reife für ein hohes Staatsamt erweckt.