© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Eine düstere Bilanz
Südafrika: Nach den Ausschreitungen zeigt sich die Verwüstung
Marc Zoellner

Daß gleich Tausende zumeist junge Menschen erscheinen würden, um tatkräftig anzupacken, war auch für Emelda Masango eine große Überraschung: Die 25jährige aus einem Vorort der südafrikanischen Stadt Johannesburg hatte in einem Facebook-Beitrag lediglich angeboten, bei den Aufräumarbeiten in ihrer Nachbarschaft behilflich zu sein.

Grund für die dortigen Verwüstungen sind die Unruhen, die vor gut anderthalb Wochen durch das Land fegten. „Ich fühlte mich sehr traurig nach all den Geschehnissen und wollte wenigstens irgend etwas dazu beitragen, daß alles wieder besser wird“, erzählte die Rezeptionistin der südafrikanischen Tageszeitung The Times. Nun fanden sich unzählige Jugendliche zwischen Durban und Johannesburg ein, um bergeweise Schutt und Müll zu beseitigen. Die beherzte Aktion fiel genau auf den Zeitpunkt des internationalen Nelson-Mandela-Tags am vergangenen Sonntag, der in Südafrika selbstverständlich einen hohen Stellenwert besitzt.

Schwerste Unruhen seit dem Ende der Apartheid

Die Gewaltexzesse der vergangenen Tage haben die in den Provinzen Gauteng und Kwazulu-Natal gelegenen Metropolen Durban und Johannesburg besonders hart getroffen. In Scharen waren junge schwarzafrikanische Plünderer durch die Straßen gezogen. Mitunter schwer bewaffnet, hatten sie sich Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften geliefert, wichtige Infrastruktur mit Barrikaden blockiert und ganze Einkaufszentren leergeräumt und in Brand gesteckt.

Südafrikanische Medien sprachen gar von den schwersten Unruhen seit dem Ende der Apartheid 1994. „Wir fürchten um unser Leben und unsere Lebensgrundlage“, berichtet ein Ehepaar aus Durban der JUNGEN FREIHEIT. „Die Leute hier haben kein Essen mehr und stehen für das Notwendigste Schlange. Und unsere Regierung unternimmt nichts, um diese Unruhen zu stoppen.“ Tatsächlich sieht die erste Bilanz nach den Ausschreitungen düster aus: Betroffene Innenstädte präsentieren Bilder wie nach einem Wirbelsturm. Medizinische Dienste zählen bislang mindestens 212 Tote, oftmals erdrückt im Gedränge der Massen, von Trümmern kollabierender Gebäude erschlagen oder der Gewalt auf den Straßen erlegen. Unter den Opfern sind sowohl Plünderer als auch Zivilisten und Sicherheitskräfte.

Seit dem Ende der Apartheid wurde in Südafrika kein Militär mehr gegen Zivilpersonen eingesetzt. Laut der Regierung war die Unterstützung angesichts des Ausmaßes der Verwüstung nun aber notwendig. „Von weitgehender Zerstörung betroffen waren 161 Einkaufszentren, elf Lagerhäuser, acht Fabriken sowie 161 Schnapsläden“, zitierte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa Freitag vergangener Woche aus einem vorläufigen Bericht.

Sprach die Südafrikanische Vereinigung der Immobilienbesitzer (Sapoa) Anfang vergangener Woche noch von über 800 geplünderten Geschäften und mehr als 100 Einkaufszentren, die ganz oder teilweise Opfer der Flammen wurden, zählt das Johannesburger Internetportal MoneyWeb bereits über 3.000 zerstörte Läden sowie Hunderte geplünderte Banken und Postfilialen, über 1.400 ausgeraubte Geldautomaten und 113 zerstörte Mobilfunktürme. Der Sachschaden beläuft sich mittlerweile auf über 50 Milliarden Südafrikanische Rand, umgerechnet gut drei Milliarden Euro.

Die ohnehin bereits angeschlagene Wirtschaft des Landes treffen die jüngsten Unruhen schwer. Aufgrund der Corona-Krise betrug die Arbeitslosigkeit lokalen Medienberichten zufolge zuletzt 43,2 Prozent, unter den nach dem Fall der Apartheid geborenen jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, den „Born Free“, sogar annähernd 75 Prozent. Allein aufgrund der Unruhen könnten weitere 150.000 Arbeitsplätze in Südafrika verlorengehen, warnt das Johannesburger Wirtschaftsanalyse-Unternehmen Intellidex. Und noch immer grassiert das Virus im Land.

Wie kaum eine andere industrielle Volkswirtschaft litt Südafrika an den restriktiven, oftmals unverständlich bis willkürlich erscheinenden Maßnahmen der Regierung zur Pandemiebekämpfung, die selbst den Verkauf an Straßenimbissen untersagte. Besonders die ärmere Bevölkerung litt unter den Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Haupt- und Nebenerwerbe, und unter den Konsumenten festigten die Verbote Ohnmachts- und Frustgefühle. Für die Unruhen sind die Maßnahmen aber nicht verantwortlich, zeigt sich Südafrikas Staatsoberhaupt überzeugt. Vielmehr spricht Ramaphosa von einem „Putschversuch“ und einer „Sabotage der Wirtschaft“, geplant und in die Tat umgesetzt von einem rivalisierenden innerparteilichen Flügel des African National Congress (ANC), jener seit 1994 regierenden Partei deren Vorsitzender zugleich Ramaphosa ist.

Als „dreckiges Dutzend“ habe die südafrikanische Regierung mittlerweile zwölf Rädelsführer dieses Aufstandes identifiziert, erklärte Polizeiminister Bheki Cele. Trotz einer ersten Verhaftung gab die Regierung deren Namen jedoch bislang nicht bekannt. Bei einer der zwölf Verdächtigen dürfte es sich südafrikanischen Medien zufolge jedoch um Duduzile Zuma-Sambundla handeln, die Tochter des bis 2018 amtierenden Präsidenten Jacob Zuma, der ebenso ANC-Mitglied ist. Dessen Verhaftung Anfang Juli gilt als Auslöser der tödlichen Unruhen.

Ethnischer Konflikt  befeuerte Proteste

Die von ihren Sympathisanten nur „Dudu“ genannte Politfunktionärin soll in zahllosen Twitter-Botschaften zu Massenprotesten aufgerufen haben. Gegen Jacob Zuma wird seit 2018 wegen eines südafrikanisch-französischen Waffendeals aus den Neunzigern ermittelt. Er wird des Betrugs und der Bestechlichkeit in mindestens 16 Fällen verdächtigt. Da der Ex-Präsident sich mehrfach weigerte, vor Gericht zu erscheinen, verhängten die Richter eine 15monatige Haftstrafe gegen ihn.

Neben der politischen Konkurrenz zwischen Zuma und Ramaphosa dürften allerdings auch Stammesrivalitäten sowohl bei der Verhaftung Zumas als auch bei den anschließenden Unruhen eine gewichtige Rolle gespielt haben.
Mit elf Millionen der rund 60 Millionen Einwohner des Vielvölkerstaats Südafrikas stellen die Zulu die größte ethnische Gruppe. Die Präsidentschaft Zumas galt als Zugeständnis der Partei an die Zulu, seine Verhaftung als Eklat. Daß die jüngsten Unruhen sowohl durch die Beiträge von Zulu-Angehörigen in den sozialen Netzwerken koordiniert erscheinen als auch fast ausschließlich in den von Zulu bewohnten Provinzen entflammten, deutet in dieser Hinsicht tatsächlich auf die Inszenierung eines Staatsstreichs entlang der ethnischen Konfliktlinien Südafrikas hin.