© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

"Bitte sehr, bitte gleich"
Ein Land zu schön zum Sterben: Voller Erinnerungen an die Kaiserzeit und die Jahre des Wirtschaftswunders liegt unsere diesjährige Sehnsuchtsregion, das Salzkammergut, im Dreieck von Oberösterreich, Steiermark und Salzburger Land. Ein Besuch dort lohnt sich
Hinrich Rohbohm

Langsam ruckelt die Zahnradbahn dem Gipfel entgegen. Gut 1.200 Meter Höhenunterschied muß sie überwinden. Vorbei an den sattgrünen Nadelbäumen, durch die immer wieder mal das türkisblaue Wasser des Wolfgangsees hindurchschimmert. „Wir bitten Sie, während der Fahrt nicht aufzustehen und nicht die Plätze zu wechseln!“, dröhnt es mahnend aus den Lautsprechern zu den Passagieren. Angesichts einer Steigung von bis zu 26 Prozent nachvollziehbar. Es ist die steilste Dampf-Zahnradbahn Österreichs. Daran halten will sich trotzdem der ein oder andere nicht. Zu atemberaubend ist der Ausblick, zu spektakulär das Farbenspiel, das immer grandioser erscheint, je näher sich die Bahn an die Schafbergspitze zieht.

Seit 1893 fährt die Schafbergbahn auf den 1.783 Meter hohen Gipfel. Erbaut auf Anweisung des österreichischen Kaisers Franz Joseph, der seinerzeit im Salzkammergut – wann immer es ihm die Zeit erlaube – seiner größten Leidenschaft nachging: der Jagd. Auch seiner sieben Jahre jüngeren Kaiserin Elisabeth gefiehl das Salzkammergut jener Tage. Kaum ein Gipfel, den „Sisi“ nicht erklomm. Sehr zum Leidwesen ihrer schweißgebadet hinterhereilenden Dienerschaft, die zumeist nicht mit der sportlichen Kaiserin Schritt halten konnte.

„Damals war das hier ja alles noch unberührte Natur. Ohne Bahn, ohne Wege und ohne Befestigungen“, erzählt der Lokführer, als wir die Schafbergalm, eine Zwischenstation, erreichen. Doch schon ab 1889 wurde alles anders. Der Kaiser-Franz-Josef-Reitweg entstand, reitgerechte lange Zementstufen  werden angelegt. Vier Jahre später folgt die Bahn, dessen Bau der Habsburgermonarch persönlich veranlaßte.

Langsam setzt sich die Lok wieder in Bewegung. Den steilen Hang emporächzend passieren wir – Sisis Kletterkünste bewundernd – die Baumgrenze. Das Grün weicht Meter für Meter einer Felslandschaft. 35 Minuten dauert die Fahrt vom Startbahnhof in St. Wolfgang bis zur Spitze. Die alte Dampflok von früher brauchte eine Stunde. Sie benötigte für eine Berg-und-Tal-fahrt 3.000 Liter Wasser und 500 Kilo Steinkohle. Greta Thunberg hätte keine Freude an der Fahrt gehabt.

Dann sind wir am Ziel und dem Himmel so nah, daß man ihn fast greifen kann. Plötzlich, obwohl wir das Zeitliche noch nicht gesegnet haben, erscheint die Himmelspforte. Doch nicht Engel heißen einen hier willkommen, sondern ein rustikaler Gastwirt in seiner Schutzhütte, die diesen Namen trägt. Während sich der Gaumen an Hausmannskost und regionaler Küche erfreuen kann, genießen die Augen einen Panoramablick über Alpen und Seen. Mondsee, Attersee, Wolfgangsee, Fuschlsee und noch drei weitere Gewässer. Der Blick reicht vom Dachsteinmassiv bis zu den Berchtesgadener Alpen.

Das „Weisse Rössl“ ist nur zehn Gehminuten entfernt

Ein Anblick, der einem den 1887 im Salzkammergut verstorbenen Schriftsteller Friedrich Theodor Vischer und sein Gedicht „Im Hochgebirg“ ins Gedächtnis ruft:
„Steig, o Seele, mit diesen trutzigen Urweltriesen! Recke dich! Strecke dich! – Wie ihr entschlossen seid emporgeschossen, das Steinherz in der Brust, das zu sehen ist Lust. Ihr seid nicht höflich und fein, ihr lüget nicht, weich zu sein, euch macht nicht Sorge und Rücksicht bang, ihr bücket euch nicht, ihr fraget nicht lang, die Losung heißt: Durch! die Losung heißt: Kraft! So habt ihr euch Platz in der Welt verschafft. Es wird Nacht. Fort ist die Farbenpracht. Finster und schwer, stehn sie umher, schwarzblau mit düsteren Stirnen; selbst die weißen Firnen leuchten nicht mehr.

Aber o sieh, schau empor! Ein Haupt ragt vor über alle und taucht, in des Lichtquells letzten fliehenden Schein den Scheitel ein, zart milchweiß und rosig angehaucht.“

Noch ehe die Farbenpracht fort ist, es Nacht wird und finster und schwer, setzt sich die Zahnradbahn zur Abfahrt ins Tal in Bewegung. Noch einmal ein Blick über die saftig-grünen Blumenwiesen, vorbei an den hangabwärts aufragenden Nadelbäumen hinunter auf den Mondsee mit seinen weißen Stränden, dem türkisblau schimmernden Ufer, das zur Mitte des Sees hin in ein tiefes Blau hinübergleitet.

Und ein letzter Blick zu dem zwischen 1862 und 1864 fertiggestellten Hotel Schafbergspitze, dem ersten Berghotel Österreichs. Erbaut wurde es von dem einstigen Gastwirt im „Weissen Rössl“, Wolfgang Grömmer.

Das heutige Romantik-Hotel „Weisses Rössl“ ist ein weiterer Publikumsmagnet des Salzkammerguts. Mit der Zahnradbahn im Tal angekommen sind es keine zehn Minuten Fußweg zum malerischen Ortskern von St. Wolfgang. Die verwinkelten Straßen sind von traditionellen Fachwerkhäusern mit farbenprächtigen Blumen auf den Balkonen gesäumt. Pferdekutschen, kleine verträumte Läden, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint und die einen in die fünfziger Jahre zurückversetzen. Ein Kolonialwarengeschäft. Tante-Emma-Läden, in denen sogar noch die Lebensmittelverpackungen aus der damaligen Zeit in den Schaufenstern ausgestellt sind. Wenige Kilometer entfernt, in Sankt Gilgen, urlaubte einst regelmäßig der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl mit seiner Familie. Eine Flotte von einem halben Dutzend Nostalgieschiffen verbindet die Orte bereits seit 1873 miteinander.

Oberkellner Leopold erwartet uns bereits

Damals überquerte der Raddampfer „Kaiser Franz Joseph I.“ erstmals den Wolfgangsee und galt als technische Sensation. Das altehrwürdige Schiff ist mittlerweile ein Weltstar, hat schon in zahlreichen Filmen mitgewirkt. Noch heute ist es in Betrieb, verbindet mit fünf weiteren Dampfern insgesamt sieben Anlegestellen. Eine Fahrt vom äußersten Norden des Gewässers in Sankt Gilgen bis ans südliche Ende in den Ort Strobl dauert etwa eine Stunde und fünfzehn Minuten. Und gewährt – eingerahmt in ein bilderbuchartiges Bergpanorama – einen traumhaften Blick auf St.Wolfgang und das „Weisse Rössl“.

Vor dem Eingang zur Restaurantterrasse des berühmten Hotels empfängt uns Peter Alexander alias Oberkellner Leopold aus der 1960 entstandenen Kultverfilmung der Operette „Im weißen Rößl“ von Ralph Benatzky. In schwarzem Anzug, weißem Oberhemd, schwarzer Fliege und mit weißer Handserviette über dem rechten Arm steht er da, als Pappkamerad.

„Im weißen Rößl am Wolfgangsee, da liegt das Glück vor der Tür“, singt der Schauspieler in dem Film. Wir nehmen das wörtlich und treten ein. Der richtige Kellner läßt nicht lange auf sich warten. „Ein Tisch am Wasser? Kein, Problem. Bitte sehr, bitte gleich“, kommt es von ihm in bester Reminiszenz.

Wir haben gerade erst Platz genommen, da treffen wir schon wieder auf Oberkellner Leopold. „Tritt ein und vergiß deine Sorgen im Seerestaurant“, heißt es auf der Speisekarte. Die Karte mit Konterfei darf als Souvenir mit nach Hause genommen werden. Und ja, das muß jetzt sein: „Ein Wiener Schnitzel mit Preiselbeergelee, bitte.“ „Selbstverständlich, bitte sehr, bitte gleich“, erklingt beflissen die Antwort.

„Das ’Weisse‘ Rössl ist schon in vielen Spielfilmen zu sehen gewesen“, bestätigt der Kellner und zeigt auf die Stützpfeiler des Hotels, auf denen wie bei einer Litfaßsäule Fotos über die filmischen und musikalischen Größen zu finden sind. Vom Komponisten Ralph Benatzky und dem Aufmarsch der Piccolos in der Operette von 1930. Von Max Hansen, dem ersten Oberkellner Leopold aus dem Jahre 1926 mit der ersten Rössl-Wirtin Liane Haid. Ebenso von Hermann Thimig und Christl Mardayn von 1935. Und natürlich von Peter Alexander und Waltraud Haas aus dem Jahr 1960, den wohl berühmtesten.

Auf dem Platz vor dem Wolfgangsee und dem Hotel, auf dem im Film einst der schöne Sigismund – „Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist?“ –, gespielt von Gunther Philipp als Sigismund Sülzheimer, seinen Helikopter landete, laden heute Parkbänke zum Verweilen ein.

Nicht mit dem Helikopter, aber dafür mit dem Bus geht es über Strobl weiter Richtung Bad Ischl, in die „Kaiserstadt“. Hier hatte sich das beliebte Kaiserpaar im Jahre 1853 kennengelernt. Prinzessin Elisabeth von Bayern war da gerade mal 15 Jahre alt. „Ja, hier haben sie sich verlobt“, bestätigt man uns im ehemaligen Hotel Austria, in dem die Verlobungsfeier stattgefunden hatte. Das Gebäude, das heute ein Museum ist, wirkt längst nicht so groß und prunkvoll, wie man es aus den Filmen der „Sissi“-Trilogie kennt. „Das meiste von den Verlobungsszenen wurde ohnehin in Wien gedreht“, klärt uns eine Mitarbeiterin auf.

Später sollte Ischl – damals hatte es noch nicht den Kurorttitel – Sisi und Franz Joseph als kaiserliche Sommerresidenz dienen. Die Familie logierte seinerzeit in der am Fuße des Jainzenbergs gelegenen Kaiservilla. Das 1834 erbaute Gebäude erhielten die frischvermählten als Hochzeitsgeschenk. Es sollte sich zu einem gern genutzten Rückzugsort entwickeln. Heute steht das Gebäude mitsamt dem Park unter Denkmalschutz. Die Kaiservilla ist inzwischen ein Museum, befindet sich jedoch noch immer im Besitz der Habsburger, die sogar noch heute einen Flügel des Gebäudes bewohnen.

„Ihr Leibarzt hatte Ischl der späteren Kaisermutter Sophie aufgrund seiner Solebäder als Kurort empfohlen“, sagt die hilfsbereite Museumsmitarbeiterin. Hintergrund war dabei, daß Sophie keine Kinder bekam. „Nach ihrem Aufenthalt in Ischl kamen dann aber drei Buben auf die Welt“, schmunzelt die Miratbeiterin.

Hier unterzeichnete der Kaiser die Kriegserklärung gegen Serbien

Der Grundstein für den heutigen Kurort Bad Ischl war gelegt, den künftig Könige und Fürsten aufsuchen sollten. Auch Fürst von Metternich hatte sich seinerzeit an den heilenden Vorzügen der Bäder erfreut. In drei Jahren soll Bad Ischl neben weiteren Gemeinden des Salzkammerguts Kulturhauptstadt Europas werden.

„Früher gehörte auch noch der Jainzenberg zum kaiserlichen Anwesen dazu“, erklärt uns eine Museumsmitarbeiterin. Sisi nutzte den Berg für Spaziergänge. „Sogar eine Turnstange wurde für sie dort oben installiert“, sagt die Mitarbeiterin. Franz Joseph ging währenddessen hier des öfteren auf die Jagd. Die Kaiservilla ist voll mit Trophäen, die der Monarch im Laufe seines Lebens auf der ganzen Welt geschossen hat: Hirsche, Bären, Adler und Gemsen. Tausende davon hängen an den Wänden der Villa. Alte Fotos zeigen den stolzen Kaiser bei der Rückkehr von der Jagd. In kurzen Lederhosen, Bergschuhen und hochgezogenen Kniestrümpfen. „Das Arbeitszimmer steht größtenteils noch genau so da, wie er es bei seinem letzten Besuch verlassen hatte“, erklärt die Mitarbeiterin. Der Schreibtisch mit den Geburtstagsgeschenken der Kinder darauf. Da ist auch der rote Sessel, in dem er seinen Mittagsschlaf hielt.

Hier unterzeichnete er im Sommer 1914 auch die Kriegserklärung gegen Serbien. Daß sich daraus ein Weltkrieg entwickeln würde, ahnte er damals noch nicht. In der Erwartung, bald wieder in sein geliebtes Bad Ischl zurückzukehren, ließ er seine Jagdbekleidung in der Villa liegen. Es sollte bekanntlich anders kommen. Die Jagdkleidung liegt, wo er sich ihrer entledigte, allerdings unter einer Glasvitrine geschützt.
Wenige hundert Meter bergauf steht eine weitere architektonische Augenweide im britischen Tudorstil: das „Marmorschlössl“, auch kaiserliches Cottage genannt. Sisi hatte hier einen weiteren Rückzugsort und die kaiserliche Familie einen Frühstückssalon. Auf der Terrasse sind Infotafeln zum Leben der Kaiserin aufgebaut. Dazu Lautsprecherboxen, aus denen Erläuterungen erklingen, sobald man an ihnen vorübergeht. An einem dieser Boxen haben wir ein Déjà-vu: „Im weißen Rößl am Wolfgangsee, da liegt das Glück vor der Tür“, überrascht uns das Gerät.

Am Wolfgangsee vorbei geht es mit dem Bus weiter zu einem anderen Schloß: Mirabell, in der Altstadt von Salzburg, mit seinen fantastischen Gartenanlagen. Über Blumen- und Rasenflächen schweift der Blick hier hinauf zur Festung Hohensalzburg, die einst über die Stadt wachte. Den Garten hatte der Kaiser der Stadt im Jahre 1864 als Geschenk überlassen. Das Schloß mitsamt seinen Gärten steht heute unter Denkmalschutz und gehört ebenso zum Welterbe der Unesco wie die historische Altstadt von Salzburg mit ihren zahlreichen verwinkelten Gassen.

Die Stadt wurde jedoch noch von einer anderen Persönlichkeit geprägt: Wolfgang Amadeus Mozart wurde hier im Jahre 1756 geboren. Sein Geburtshaus befindet sich in der Getreidegasse und kann ebenso besichtigt werden wie sein Wohnhaus am Marktplatz. Neben Geschichten über das Leben des berühmten Komponisten und über seine Familie sind einst von ihm benutzte Musikinstrumente zu bestaunen. Auch Mozarts Siegel der Freimaurerloge „Zur neugekrönten Hoffnung“, der er bis zu seinem Lebensende angehörte, ist im Geburtshaus zu sehen.

Und so wie man in Bad Ischl an jeder Ecke auf Namen und Zeugnisse von Franz Joseph und Sisi trifft, ist in Salzburg Wolfgang Amadeus an nahezu jeder Ecke präsent. Etwa am Mozartplatz, auf dem sich eine Statue des musikalischen Großmeisters befindet und von dem aus die Fiaker – die bekannten Pferdekutschen – zu einer Tour durch die Altstadt einladen. Oder in Form der 1890 von dem Salzburger Konditor Paul Fürst entworfenen Mozartkugeln. Das Original-Süßerzeugnis aus Schokolade, Marzipan und Pistazien wird noch heute in Salzburg von der Konditorei Fürst hergestellt. Natürlich darf das Wunderkind auch bei den Salzburger Festspielen nicht fehlen, die noch bis zum 31. August die Stadt mit Touristen füllen. Seit 1920 finden sie im Sommer mit über 200 Veranstaltungen zwischen Juli und August statt, locken Jahr für Jahr mehr als 250.000 Gäste nach Salzburg. Eine der Spielstätten ist das in der Altstadt befindliche und seit 2006 in „Haus für Mozart“ umbenannte Festspielhaus, in dem Opern und Konzerte aufgeführt werden. Besonders der Theater- und Filmregisseur Max Reinhardt, dessen Karriere als Schauspieler 1893 am Salzburger Stadtteater begonnen hatte, und Hugo von Hofmannsthal hatten die Salzburger Festspiele maßgeblich geprägt. Das Motto seiner Gründer  lautete übrigens „Von allem das Höchste.“


Foto: So wie man in Bad Ischl an jeder Ecke auf Namen und Zeugnisse von Franz Joseph und Sisi trifft, ist in Salzburg Wolfgang Amadeus Mozart an nahezu jeder Ecke präsent. Etwa am Mozartplatz, von dem aus die Fiaker zu einer Tour durch die Altstadt einladen.; Karte des Salzkammergut (o., schwarz umrandet): Im Osten liegt das Tor zum habsburgischen Krongut: die Mozartstadt Salzburg; Kaiservilla in Bad Ischl  (r.): Die Villa gelangte 1853 in den Besitz der Adelsfamilie, als die Kaiserinmutter sie als Hochzeitsgeschenk für Kaiser Franz Joseph und Elisabeth kaufte.; Eigentümer und Verwalter ist heute Markus Emanuel Habsburg-Lothringen