© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Stau am Ladepunkt
Autoindustrie: Fehlende Batterien und steigende Preise bremsen den verordneten Umstieg auf die E-Mobilität
Paul Leonhard

Es ist die Quadratur des Kreises: der deutsche Atom- und Kohleausstieg bei steigendem Stromverbrauch. Die digitale Revolution frißt Unmengen, der Umstieg von Benzin und Diesel auf E-Autos und den ÖPNV ebenso. Gas- und Ölheizungen sollen durch Wärmepumpen und Stromheizung ersetzt werden. Wasserstoff per Elektrolyse soll Lkws und Schiffe antreiben und Kohle in der Grundstoffindustrie ersetzen.

Doch selbst jene, die daran glauben, müssen eingestehen, daß nicht so viele Windparks und Solaranlagen aufgebaut werden können, wie es die Prognosen für den Stromverbrauch fordern. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat das inzwischen eingestanden. Die Klimaretter von Annalena Baerbock bis Markus Söder entgegnen auf die Stromverbrauchsprognosen: Verdopplung der Windräder, Verdreifachung der Photovoltaik.

„Einen Berg in die Luft zu sprengen ist nicht grün“

Die deutsche Autoindustrie treiben praktische Sorgen um. Ihre Manager kalkulieren zwar insgeheim mit französischem Atom-, polnischem Kohlestrom und russischem Gas, dafür quälten sie das Fehlen von Stromtankstellen. Die EU-Kommission peilt in ihrem Klimaplan „Fit for 55“ tatsächlich 3,5 Millionen öffentliche Ladestellen bis 2030 an. Doch 2020 gab es davon EU-weit nur 225.000 – und von denen „wiesen nur 25.000 Punkte eine Ladeleistung von mehr als 22 Kilowatt auf, was sie als wirklich taugliche öffentliche Ladestelle qualifiziert“, klagt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Von 2019 auf 2020 wurden knapp 10.000 dieser Punkte angeschlossen. Das Ausbautempo müßte also mehr als verdreißigfacht werden.“ Staut es sich bald den Ladestationen wie an den Grenzübergangstellen zu Maueröffnungszeiten?

Und wenn die Autozulieferer nicht genügend Halbleiterchips und Batterien produzieren, kann BMW nicht wie geplant bis 2030 sieben Millionen und VW keine 22 Millionen bauen. Ab Mitte 2022 wollte die in Hongkong registrierte Firma Farasis Energy in Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt mit der Zellproduktion für E-Autos von Daimler beginnen, jetzt ist von Oktober 2024 die Rede. „Wir haben uns entschieden, den Hochlauf der Produktion in unserem Leitwerk in Zhenjiang zu priorisieren“, verriet Farasis-Europachef Sebastian Wolf dem Handelsblatt.

Um unabhängiger von Asien zu werden, wollen EU und Bundesregierung die Batterieherstellung mit Fördermilliarden nach Europa locken. So ist auch der zweite Hersteller, auf den Mercedes und BMW setzen, ein chinesischer, nämlich Contemporary Amperex Technology (CATL). Dieser baut im thüringischen Arnstadt eine „Gigafactory“ – doch die hat ebenfalls Probleme. Nun soll die Produktion voraussichtlich Mitte 2022 starten. Bis dahin kommt der Fahrstrom für die Premium-SUV und -Limousinen aus Batterien „made in China“, sieht man von der hundertprozentigen Tochter Deutsche Accumotive ab, die im sächsischen Kamenz E-Auto-Batterien für Pkw und Nutzfahrzeuge aus asiatischen Komponenten montiert.

Für die saarländische Grenzgemeinde Überherrn hat sich SVolt als Ableger des chinesischen Konzerns Great Wall Motors entschieden. Hier sollen ab Ende 2023 Lithium-Eisenphosphat-, Lithium-Nickel-Kobalt-Mangan- und kobaltfreie NMX-Batteriesets produziert werden, verspricht SVolt-Vizechef Kai-Uwe Wollenhaupt. Volkswagen setzt dagegen auf Eigenständigkeit. Im ehemaligen Motorenwerk in Salzgitter und in Braunschweig sollen künftig zusammen mit der schwedischen Northvolt AB Batterien gefertigt werden. BMW will in seinem Leipziger Werk bis 2022 mehr als 100 Millionen Euro in die Produktion von Batteriemodulen investieren. In Karlstein in Unterfranken verarbeitet die BMZ Group asiatische Batteriezellen zu großen Akkus.

Vor dem Siegeszug der Lithium-Ionen-Akkus in Smartphone und Laptop war das Leichtmetall nur für Industrieanwendungen, beim Wasserstoffbombenbau und bei Fusionsreaktoren (Hilfsmittel zur Erzeugung von überschwerem Wasserstoff/Tritium/3H) gefragt. In den USA schlagen nun aktuell Indianer, Viehzüchter und Umweltschützer Alarm, um das „Lithium Americas“-Projekt in einem erloschenen Vulkan im Norden Nevadas zu verhindern. Der Abbau werde Milliarden Liter Grundwasser verbrauchen und einen Teil davon 300 Jahre lang verseuchen: „Einen Berg in die Luft zu sprengen ist nicht grün, egal wie viel Marketing die Leute darauf setzen“, klagte der Ökoaktivist Max Wilbert in der New York Times. Weitere Lithium-Minen sind in Kalifornien, Oregon, Tennessee, Arkansas und North Carolina geplant.

Die größten bekannten Lithiumvorkommen finden sich allerdings in Südamerika. Dort spielt Umweltschutz zwar keine große Rolle, aber die jährlich abgebaute Menge von Nickel, Kobalt, Mangan und Graphit beträgt aktuell weniger als ein Drittel dessen, was zur Deckung des Batteriebedarfs 2030 erforderlich sein wird. Das treibt die Preise enorm – gut für Mineninvestoren, aber schlecht für die Käufer der E-Autos, die das bezahlen müssen. Und dauerhaft lassen sich 9.000 Euro pro verkauftem VW ID.3, Hyundai Kona & Co. nicht vom Steuerzahler und den Autoherstellern zuschießen.


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