© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Geschichtswissen läßt Sprachpolizisten alt aussehen
Zurück zum menschlichen Maß

Kein Sprachbewußtsein ohne Geschichtsbewußtsein. Deshalb sind die Geisteswissenschaften generell, die historischen Fächer speziell im Kern keine „nutzlosen“ Disziplinen, die hochschulpolitisch, wie derzeit in Großbritannien, weiter zugunsten der Natur- und Ingenieurswissenschaften abgebaut werden könnten. Eine These, die der emeritierte Bonner Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin anhand eines Beispiels aus dem laufenden Kulturkrieg um Identität und Diversität erläutert. Wer das Wort „Mohr“ heute als diskriminierend ächte, kennt seine Geschichte nicht. Schon im 8. Jahrhundert n. Chr. kannte man „moren“, Menschen einer Ethnie, die von Römern „mauri“ genannt wurden, weil sie in Mauretanien wohnen. Das Wort Mohr ist eine phonetische Übernahme dieses geographischen Fachterminus in althochdeutscher Zeit. Wer das als historisch Gebildeter weiß, brauche keine „Bevormundung von Sprachwarten und Sprachlenkerinnen“. Nur wer die Geschichte vergesse, folge der Sprachpolizei. Geschichtskenntnis helfe, solche fatalen Autoritäten als zeitbedingt zu durchschauen und deren Zumutungen als Hybris einer sich überschätzenden Gegenwart zurückzuweisen. Geschichtswissen fahre diese „prometheische Wichtigtuerei“ von Identitätspolitikern, Gender- und „kritischen Weißseins-Forschern“, die glauben in jeder Generation alles neu machen und jede Tradition entsorgen zu müssen, auf menschliches Maß zurück. Was auch ein Blick zurück auf NS-Sprachreiniger beweise: Kein Regisseur nenne sich heute noch „Spielleiter“ und kein Rektor will mehr „Führer“ sein, obwohl von ihm „Leadership“ erwartet werde (Forschung & Lehre, 4/2021). (dg) 


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