© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Mit Black Lives Matter zurück zum ultrasozialen Verhalten
Glaube an den Gutmenschen

Eine lebenslängliche Beschäftigung mit den Ursprüngen des Sozialverhaltens ermutigt Michael Tomasello zu einem optimistischen Bekenntnis: „Ich glaube an den Gutmenschen.“ Der heute wieder in den USA lebende ehemalige Direktor des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie stützt sich dabei auf Erkenntnisse über unser stammesgeschichtliches Erbe. Denn bis in die späte Steinzeit, um 2500 v. Chr., seien die Vorfahren des Homo sapiens als Jäger und Sammler durch Wald und Wiesen gestreift. Diese Menschen seien angewiesen gewesen auf einen „extremen Kooperationswillen“. Ein derart ultrasoziales Verhalten wiederhole sich in der frühen Kindheit jedes Menschen. Es bleibe auch bewahrt nach dem dritten Lebensjahr, wenn Kinder beginnen, sich als Mitglieder einer Gruppe von spezifischer Kultur zu verstehen. Die Identifizierung des Selbst mit den anderen gehe im Vorschulalter immer noch deutlich über das Eigeninteresse hinaus. Dieser Kooperationswille werde in westlichen Konkurrenz-Gesellschaften allerdings bei Jugendlichen und Heranwachsenden kulturell durch den in solchen „Dominanzhierarchien“ existentiell wichtigen Egoismus überformt. „Der Sinn für das Wir“, für Altruismus und Hilfsbreitschaft, verkümmere daher. Aber in dem Maß, wie die moderne kapitalistische Kultur unser evolutionäres Erbe verdränge, lasse es sich vermutlich wieder vitalisieren. Tomasello denkt dabei ausgerechnet an die sich „antirassistisch“ gerierende „Black Lives Matter“-Bewegung und hofft, die von ihr neu gesetzten „menschenfreundlichen sozialen Normen“ könnten Veränderungen hin zu einer weniger egoistischen Gesellschaft bewirken (Psychologie heute, 5/2021).

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