© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Kino: In „Wer wir sind und wer wir waren“ brillieren Annette Bening und Bill Nighy als Paar in der Beziehungshölle
Ehedrama vor Küstenkulisse
Dietmar Mehrens

Es gibt Frauen, mit denen hält es kein Mann auf Dauer aus. Sie nerven durch Fragen, auf die man einfach keine Lust hat zu antworten. Und fällt einem dann doch eine halbwegs stimmige und sogar ehrlich gemeinte ein, muß man damit rechnen, daß sie einem in Form eines rhetorischen Rundumschlags um die Ohren fliegt. Verweigert man sich dem Gespräch, stößt sie den Küchentisch um. Nicht nur sprachlich ist man einem solchen Eheweib hilflos ausgeliefert, auch moralisch. Denn man hat einfach immer das Gefühl, als Mann eine ungenügende Leistung abgeliefert zu haben.

So läßt sich in wenigen Worten die Ehehölle beschreiben, aus der Edward (Bill Nighy) nach 29 gemeinsamen Jahren beschließt auszubrechen. Der Geschichtslehrer hat sich in die Mutter eines Schülers verliebt und möchte seine Frau Grace (Annette Bening) verlassen. Für den Sonntag, den er auserkoren hat, um seine Entscheidung zu verkünden, hat er den einzigen Sohn (Josh O’Connor) in das gemeinsame Haus in Seaford eingeladen, damit er die Folgen abfedern kann, die der folgenschwere Schritt bei seiner Noch-Ehefrau voraussichtlich auslösen wird. Doch auch der Filius steckt gerade in einer Beziehungskrise.

Der einzige Sohn gerät zwischen die Fronten des Zerwürfnisses

Kann der Riß noch gekittet werden? Sind fast dreißig Jahre Ehe nicht eine zu große Hürde, um einfach von heute auf morgen alles über Bord zu werfen? Und ist eine vermeintlich attraktivere Frau nicht am Ende nur eine Schimäre, ein kurzer Rausch, der die Stelle dessen, was in Jahren gereift ist, niemals adäquat einnehmen kann? Das sind die Fragen, um die der Film „Wer wir sind und wer wir waren“ von William Nicholson kreist. Der Regisseur feierte Erfolge als Autor von „Shadowlands“ (1993), der Verfilmung einer Romanze des britischen Autors C. S. Lewis („Die Chroniken von Narnia“) sowie mit dem Drehbuch zu „Gladiator“(2000). Diesmal verfilmte er sein eigenes Theaterstück „The Retreat from Moscow“. Auf die Frage, warum es zwanzig Jahre dauerte, bis aus der Vorlage ein Film wurde, sagte Nicholson im Interview: „Ich wartete darauf, daß meine Eltern sterben … Ich denke, es wäre hart für sie gewesen, diesen Film zu sehen.“ Pate stand nämlich Nicholsons eigene Familie.

Was sich nach tausendmal gesehenem Beziehungskitsch anhört, ist in Wirklichkeit ein phänomenal gespieltes Drei-Personen-Stück, in dem sehr ähnlich wie in dem vielgelobten Beziehungsdrama „45 Years“ (2015) Grundbedingungen des Daseins als Ehemann und Ehefrau verhandelt werden. In dem Film von Andrew Haigh waren es Charlotte Rampling und Tom Courtenay, die kurz vor ihrem sogar schon 45. Hochzeitstag erkennen mußten, daß früheres Glück keine Garantie für ein gemeinsames harmoniegesättigtes Altwerden ist.

In „Wer wir sind und wer wir waren“ tritt nun zu dem Schicksal des entzweiten Paares das des Sohnes hinzu, der zwischen die Fronten des Zerwürfnisses gerät und dem Film eine dritte dramaturgisch wirkungsvolle Komponente verleiht. Nighy und sein Filmsohn Josh O’Connor, die bereits in der Jane-Austen-Neuverfilmung „Emma“ (2020) gemeinsam vor der Kamera standen (JF 11/20), wirken als Vater und Sohn authentisch; Bening als Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs ist eine Klasse für sich. Jeder Satz, jede Geste stimmt. Exzellent ist auch die Bildgestaltung: Schauplatz der Handlung ist der südenglische Küstenort Seaford (Sussex). Gekonnt setzt Autor und Regisseur William Nicholson die Küstenkulisse ins Bild, um Protagonisten und Publikum zwischen den Krisengesprächen mal kurz Luft holen zu lassen.

Kinostart ist am 29. Juli 2021 https://tobis.de