© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Filmkritik
Vincent & Theo Die Brüder van Gogh
Werner Olles

Robert Altmans „Vincent & Theo“ (1989) beginnt mit historisch-dokumentarischen Aufnahmen einer Auktion im März 1987 bei Christie’s, einem berühmten Londoner Kunsthandel. Vincent van Goghs Gemälde „Vase mit fünfzehn Sonnenblumen“ verkauft sich für den rekordverdächtigen Preis von mehreren Millionen Pfund. Dann blendet der Film zurück und zeigt Vincent (Tim Roth), als er hundert Jahre zuvor voller Verzweiflung versuchte, die Sonnenblumen zu malen.

Es folgen verschiedene Episoden aus der Zeit mit seinem Bruder Theo (Paul Rhys), sein Umzug aus Theos Wohnung in Paris in die Provence, Theo van Goghs Gründung einer Kunstgalerie in Paris, in der dieser Gemälde verkaufte, die er selbst für schlecht hielt und deren Käufer er verachtete, seine Heirat mit Jo Bonger (Johanna ter Steege), Vincent van Goghs Freundschaft mit dem Maler-Kollegen Paul Gauguin in der Provence, die Verstümmelung seines Ohres und Vincents Pflege durch den Arzt Paul Gachet (Jean-Pierre Cassel).

Die Stationen der letzten zehn Lebensjahre von Vincent van Gogh (1853–1890) sind geprägt von seinen bis zu äußerstem Schmerz und geistiger Verwirrung führenden Kämpfen um eine adäquate Ausdrucksform für seine Wahrnehmung der Welt, der Landschaften, der Menschen und Dinge. Sie spiegeln sich im Lebensmodell seines Bruders Theo, der in gutbürgerlichen, wohlhabenden Kreisen nach Selbstbestimmung und Anerkennung sucht, aber in seiner eigenen Verzweiflung und seinem Scheitern letztlich eng mit Vincent verbunden ist.

Altmans Film ist keine eindimensionale Künstlerbiographie, sondern eine anspruchsvolle, ebenso verstörende wie faszinierende Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und der Wahrheit des künstlerischen Abbildes. Dabei hält sich der Regisseur sorgfältig und mit Respekt an die bekannten Tatsachen im Leben der van Gogh-Brüder und stellt den Zusammenhang zwischen menschlichem Schicksal und künstlerischem Werk dar, ohne jedoch sein schöpferisches Geheimnis letztendlich deuten zu können.

Vorzüglich gespielt und fotografiert, ist Altman in Verbindung mit dem reichen Bildermaterial ein eindringliches Portrait gelungen. Mit großem Einfühlungsvermögen inszeniert er Vincents Leben mit Gauguin, die Liebe zu seinem Bruder Theo, seine Isolation und schließlich seinen Selbstmord. Ein Meisterwerk eines großen Regisseurs.


DVD: Vincent & Theo. Pidax Historien-Klassiker 2021, Laufzeit etwa 134 Minuten