© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Verkniffene Klitterungen
Eindrücke vom Holocaust-Gedenken in Polen
Oliver Busch

Ehe sich das „antijüdische Ressentiment“ in Polen überlebt haben werde, dürfte es noch Jahrzehnte dauern. Zu dieser pessimistischen Prognose kommt Klaus-Peter Friedrich nach der Auswertung jüngerer Publikationen, die sich mit der 1968 von der KP Polens initiierten Drangsalierung jüdischer Mitbürger befassen (Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 2/2021). Sie mußten als Sündenbocke für das von den Kommunisten veranstaltete Versorgungsdebakel herhalten; etwa 30.000 zogen es vor, den öffentlichen Angriffen und Demütigungen zumeist in Richtung Israel zu entkommen. Gegenwärtig umfasse die jüdische Gemeinschaft in Polen, so kolportiert Friedrich die Schätzung des Oberrabbiners Michael Schudrichs, noch 30.000 bis 40.000 Personen. Sie hätten sich nach dem Systemwechsel von 1990 in Polen zwar wieder wohler gefühlt, nähmen aber nun einen Stimmungswandel wahr. Vergleiche man, wie das der Zeithistoriker Piotr Osęka tut, Artikel „rechtslastiger Publizisten“ seit 2018, müßten sogar nur die Namen kommunistischer Politiker getilgt werden, um sie mit antisemitischen Texten von 1968 verwechseln zu können.
Auch die Journalistin Anna Bikont, die 2004 ihre Studie über „Wir aus Jedwabne. Polen und Juden während der Shoah“ veröffentlichte, ist heute überzeugt, daß der polnische Antisemitismus infolge der Geschichtspolitik der „konterrevolutionären, rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS)“ erneut „den Mainstream“ erreicht. Ein bitteres Fazit, das sie Jochen Rack anvertraut, einem Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks, der sich im letzten Sommer an Ort und Stelle umschaute, um zu recherchieren, wie es augenblicklich um das „Holocaustgedenken in Polen“ stehe (Merkur, 865/2021).
Gerade in Jedwabne, wo Polen am 10. Juli 1941 ein Pogrom veranstalteten und 300 ihrer jüdischen Landsleute in einer Scheune bei lebendigem Leib verbrannten, scheint sich Biskonts Urteil zu bestätigen. Mit der ersten Rekonstruktion dieses Massakers hatte Jan Tomasz Gross („Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne“, deutsch 2001) eine patriotische Welle der Empörung in Polen ausgelöst. Die bis heute nachwirkt, denn am Tatort findet Rack lediglich ein fast verstecktes Mahnmal am Dorfrand. Nur ein Schild, das bis 2001 Gestapo und deutsche „Militärpolizei“ als Täter nannte, wurde nach dem Erscheinen von Gross’ Buch abmontiert. Dafür werde dort Papst Johannes Paul II. mit dem PiS-Dogma zitiert, die in Gaskammern ermordeten Juden hätten über Generationen Seite an Seite mit den Polen gelebt.
Solche verkniffenen Klitterungen seien aber keineswegs mehr typisch für den offenen polnischen Umgang mit dem NS-Völkermord, wie Rack auf seiner von Dokumentationszentren und Mahnmalen gesäumten Rundreise registriert. Selbst in Kielce (JF 27/21), wo einem polnischen Pogrom am 4. Juli 1946 wiederum 42 Juden, darunter eine Auschwitz-Überlebende, zum Opfer fielen, werde seit 2016 eine „beeindruckende Gedenkkultur“ zelebriert.

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