© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Der Angsterzählung widerstehen
Raymond Unger über den Zusammenhang von woker Ideologie und Corona-Politik
Artur Abramovych

Er wollte eigentlich ein Buch über die Zerstörung unserer Freiheit durch Gender Mainstreaming, Klimaschutz und „Resettlement migration“ schreiben. Doch dann kam Corona und hat den Charakter seines Manuskripts gründlich über den Haufen geworfen: Raymond Ungers „Vom Verlust der Freiheit“ ist zu einem auf den ersten Blick etwas heterogenen „Parforceritt“ (so der Autor selbst) durch alle möglichen Politikfelder geworden, auf denen die politische Linke unsere Freiheit unterminiert, zumal das mit Abstand längste Kapitel zunächst gar nicht eingeplant war.

Daß Unger sich allerdings kurzfristig dafür entschied, auch die Corona-Krise abzuhandeln, erweist sich im Verlaufe der Lektüre als plausibel. Er selbst begründet diese Entscheidung in einem Interview mit dem reichweitenstarken libertären Youtuber Gunnar Kaiser damit, daß die Dokumente all jener supranationalen Organisationen und international tätigen Konzerne, die auf besagten Politikfeldern eine Vorreiterrolle einnehmen, von WEF und IWF über die UN (inklusive WHO) bis hin zu „Big Tech“ und „Big Pharma“, nachgerade aus ein und derselben Feder zu stammen scheinen. Es handelt sich dabei laut Unger ausnahmslos um „Angsterzählungen“ oder „Angst-Meme“, ob nun über die heraufziehende Klimakatastrophe, den vermeintlichen Rechtsruck einschließlich drohendem Genozid sowohl an migrantischen als auch an sexuellen Minderheiten, oder eben über ein vermeintliches Killervirus, das, wie man uns zu Beginn der Pandemie glauben machte, imstande sei, soeben noch gesunde Passanten auf der Straße tot umfallen zu lassen, und das dann (als sich erwiesen hatte, daß es doch nicht so tödlich ist wie zunächst behauptet), noch immer Grund genug zu massiven Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten bot, nämlich aus Solidarität mit den schwachen „Risikogruppen“.

Die in jenen Dokumenten anempfohlenen oder vielmehr geforderten Maßnahmen würden zwar, so Unger weiter, allesamt dem Projekt einer wie auch immer gearteten Transformation sämtlicher unserer Lebensbereiche, der „Atomisierung gewachsener bürgerlicher Strukturen“ dienen, seien allerdings „humanistisch geframed“ und dadurch mehrheitsfähig. Daß sie darüber hinaus als alternativlos dargestellt werden, bringe die allenthalben spürbare Dämonisierung und Kriminalisierung jedweder noch so berechtigten Kritik an besagten Maßnahmen hervor, für die der Autor den CSUler Markus Söder als symptomatisch betrachtet, der von der Gefahr einer „Corona-RAF“ schwadronierte und mitunter kundgab, daß es eine „Sünde“ sei, den Klimawandel zu leugnen.

Die politische Linke hat sich der „Intersektionalität“ verschrieben

Im Grunde ist der von Unger gewählte Weg, mehrere auf den ersten Blick unzusammenhängende Themenfelder miteinander zu verknüpfen, nichts weiter als eine Reaktion auf die Entwicklung der politischen Linken, die sich in den letzten Jahren zunehmend der „Intersektionalität“ verschrieben hat: Die Themen Migration, Gender und auch Klimaschutz und Gesundheitsdiktatur gehören zusammen, es handelt sich dabei um jene Politikfelder, auf denen die Linke im Namen der Solidarität mit den Schwachen dazu aufruft, die „normalen“, die „privilegierten“ Teile der Bevölkerung zu benachteiligen. Die Verbindung dieser Politikfelder demonstriert auch eindrucksvoll der „Global Compact for Migration“ der Uno, worin bekanntlich der Klimawandel als einer der wichtigsten Fluchtgründe und, daraus unmittelbar resultierend, als Grund für die moralische Verpflichtung der alten Industrieländer dargestellt wird, illegale Migration zu legalisieren.

Der in Berlin wohnhafte Autor, der von Hause aus Psychotherapeut ist und in den letzten Jahren hauptsächlich als bildender Künstler arbeitete, begann erst spät, publizistisch tätig zu werden; auch bekennt er freimütig, seinerzeit links, wahlweise die SPD oder die Grünen, gewählt zu haben. Was ihn zum liberal-konservativen Oppositionellen geraten ließ, scheint vor allem die spezifisch deutsche Lust am Untergang, oder, in Ungers eigenen Worten: „deutsche linksgrüne Kompromißlosigkeit“ gewesen zu sein. Denn erst nach einem Buch über seine eigene Familiengeschichte während des Nationalsozialismus sowie einem weiteren über das „transgenerationale Kriegstrauma“ der Deutschen und ihren daraus resultierenden Globalismus, nach zwei Büchern also, bei denen Deutschland im Mittelpunkt stand, hat sich Unger nun universaleren Mißständen zugewandt und nimmt die gesamte westliche Welt in den Blick, wenn er hier auch nach wie vor „spezifisch deutsche Muster der Willfährigkeit“ erkennen will und zudem bemerkt, daß Deutschland bei der Umsetzung des Great Reset eine „Vorreiter- und Schlüsselposition“ einnehme aufgrund der spezifisch deutschen „toxischen Scham“, die sich nicht auf bestimmte Handlungen bezieht, sondern auf die bloße eigene Existenz. Daß all diese Phänomene allerdings auch andernorts in der westlichen Welt zu beobachten sind und zum Teil importiert sind, legt Unger in seinem neuen Buch dar.

Der Autor verfolgt inhaltlich einen dezidiert liberalen Ansatz, methodologisch geschult an den bürgerlichen Anfängen der Soziologe, der Psychoanalyse sowie teilweise an der Frankfurter Schule. Er operiert bevorzugt mit dem Freudianischen Begriff der Ich-Schwäche, zuweilen sogar mit demjenigen des Autoritären Charakters, und kritisiert einen im Westen entstandenen Mangel an Individualismus, der dem heutigen Totalitarismus erst den Weg ebne. Für ihn besteht die wohl spezifisch deutsche Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Freiheit nicht, er geht vielmehr davon aus, daß diese beiden Freiheiten sich gegenseitig bedingen.

Was man bei Unger daher weitgehend vermißt, ist eine genuin konservative Technik- und Kulturkritik; gerade eine solche wäre allerdings vonnöten, um darzulegen, welche Gefahr von der heutigen Vernetztheit der gesamten Welt ausgeht, von dem Umstand, daß noch der letzte Hinterwäldler „informiert“ ist und die letzten „schallfreien Ecken“ (Botho Strauß) vor unseren Augen verlorengehen. Denn wäre dem nicht so, könnte eine neototalitäre Herrschaft, wie sie Unger beschreibt und auch anprangert, gar nicht erst errichtet werden. Ein eindrücklicher Beleg dafür hingegen, wie weit sich der politische Mainstream der westlichen Welt inzwischen selbst vom klassischen Liberalismus entfernt hat, und ein potentielles Fanal zur Aufrüttelung der schweigenden Mitte ist Ungers Buch allemal.

Raymond Unger:  Vom Verlust der Freiheit. Klimakrise, Migrationskrise, Coronakrise. Europa Verlag, München 2021, gebunden, 520 Seiten,  24 Euro