© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Umwelt
Farbige Räuber
Paul Leonhard

Da sitzt eine. Der kleine Junge hockt sich vorsichtig auf sein Badetuch, schaut in große Insektenaugen und fragt: „Mama, können Libellen stechen?“ Die Sommermonate sind die Hochzeit der 81 heimischen Libellenarten aus neun Familien. Sie jagen dicht über dem Wasser nach Insekten, führen ungeniert ihre Liebesspiele in der Luft aus und lassen ihre Körper in Rot, Blau, Gelb oder Grün in der Sonne blitzen. Als wahre Meister der Lüfte können Libellen ihre Flügel unabhängig voneinander bewegen, was ihnen Flugmanöver ermöglicht, von denen menschliche Tüftler derzeit nur träumen. Bis zu 50 km/h schnell, können sie abrupt ihre Flugrichtung ändern und mitunter rückwärts fliegen. Die Faszination ist so groß, daß viele Naturfreunde mit Fotoausrüstung losziehen, um nach Libellen Ausschau zu halten und so vielleicht neue Arten zu entdecken.
„Kleinlibellen haben einen langen und dünnen Körperbau sowie weit auseinanderstehende Augen.“
Die Tücke dabei ist, daß Männchen und Weibchen derselben Art sehr unterschiedlich aussehen können. Deswegen sind im Internet längst Libellen-Steckbriefe zu finden, die die wichtigsten Merkmale der einzelnen Arten auflisten und Detailfotos zeigen. Aber selbst für Laien sind Groß- und Kleinlibellen unterscheidbar. Erstere sind kräftiger und tragen ihre Flügel immer ausgebreitet. Kleinlibellen weisen einen langen und dünnen Körperbau sowie weit auseinanderstehende Augen auf. Weltweit gibt es über 6.000 nachgewiesene Libellen-Arten. Sie tragen Namen wie Edellibelle, Flußjungfer, Quelljungfer, Falken- oder Segellibelle. Zu diesen kommen Farb- oder Zeitbezeichnungen hinzu: Blaugrüne Mosaikjungfer oder Frühe Heidelibelle. Zur „Libelle des Jahres 2021“ kürten BUND und die Gesellschaft deutschsprachiger Odonatologen (GdO) die Wanderlibelle – ein Profiteur des Klimawandels und weltweit anzutreffen. Ein patrouillierendes Männchen dieser Art konnte ein Libellenforscher erstmals 2019 in einer Bergbaufolgelandschaft in der Niederlausitz fotografieren. Und nein, Libellen können mangels Stachel nicht stechen. Der Junge muß sich also nicht füchten.