© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/21 / 23. Juli 2021

Auf volles Risiko gesetzt
„Kaisermania“: Dresden bietet 44.000 Roland-Kaiser-Fans vier grandiose Sommernächte
Paul Leonhard

Schlagerstar Roland Kaiser hat irgendwie die Dresdner verhext. Und das seit vielen Jahren. Ein Kultursommer auf der großen Tribüne zwischen dem Trutzbau des sächsischen Innenministeriums und der träge dahinfließenden Elbe ist seit 2003 ohne Kaiser nicht vorstellbar.

Insgesamt 44.000 Fans werden im August erwartet. Dann geht an zwei Wochenenden das Kaiser-Syndrom um, denn es finden gleich vier Konzerte statt: am 6., 7., 13. und 14. August. Alle sind längst ausverkauft, da es sich um Ersatzveranstaltungen für die im vergangenen Sommer wegen der Corona-Schutzmaßnahmen ausgefallenen Auftritte des inzwischen 69jährigen handelt.

Daß der Künstler insbesondere in der Kunst- und Kulturstadt an der Elbe so gefeiert wird, auch wenn dieser sich beispielsweise sehr verächtlich bezüglich der regelmäßigen Pegida-Kundgebungen geäußert hat, gilt als ein nicht zu erklärendes Phänomen. Oder entscheiden die Dresdner einfach zwischen künstlerischem Können und politischer Meinungsäußerung, die sie tolerieren? Als Kaiser einen seiner Dresden-Auftritte unter den Titel „Grenzenlos“ stellte, um die „ganze Stadt“ aufzurufen, „diese Vielfalt auch im Miteinander der Menschen zu leben“, wurde das ebenso ignoriert wie seine Teilnahme an einer von der Staatsregierung organisierten Anti-Pegida-Kundgebung vor der Frauenkirche – nach dem Motto, der Schlagerfuzzi mit SPD-Parteibuch soll nicht politisieren, sondern einfach singen.

Immerhin besteht das Repertoire Kaisers, der auch Träger des Bundesverdienstkreuzes und der Dresdner Ehrenmedaille ist, aus eingängigen Liedern, die sich mit ihren deutschsprachigen Texten zum Mitsingen eignen, die das Bauchgefühl ansprechen, zumeist von Liebe und Sex handeln und die die Herzen erreichen. Sind Menschen noch zurechenbar, wenn sie mit sich überschlagenden Stimmen immer wieder „Humbaba, Humbaba, Humbaba, Humba“ bei „Santa Maria“ singen? Nüchtern ist nach zwei Stunden Kaiser keiner mehr, was nicht unbedingt am Alkohol liegt.

Natürlich sind es nicht nur Dresdner, die an der Elbe die Konzerte ihres Idols besuchen. Manche nehmen stundenlange Anreisen in Kauf, kommen sogar aus Berlin, München, Hamburg oder Stuttgart, um mit Freunden die einmalige Symbiose aus Konzert, begeistert mitsingenden Menschen und dem Panorama einer Flußlandschaft zu genießen. Gänsehaut-Gefühle und Partystimmung pur sind garantiert.

Zutritt nur für Genesene, Geimpfte und Getestete

Zahnspangenträgerinnen kreischen auf, wenn der Schlager-Rentner sein schwarzes Jackett auszieht und nur noch im weißen Hemd dasteht. Zur Tradition gehört auch, daß Hunderte auf der Carolabrücke mit Bratwurst und Bier stehen oder auf den Elbwiesen sitzen, wo zwar von Kaiser nichts zu sehen, aber alles zu hören ist.

Das Publikum ist bunt gemischt, generationenübergreifend, zu drei Vierteln weiblich und nicht unbedingt jung, auch wenn sich alle so fühlen. Einige zieht es schon seit mehr als 30 Jahren zu Roland-Kaiser-Konzerten, und viele können selbst jene Hits mitsingen, die geschrieben und komponiert wurden, als ihre Eltern noch Halbstarke waren: „Joana“ beispielsweise.

Klassiker wie „Midnight Lady“, „Amore Mio“, „Manchmal möchte ich schon mit Dir“ und „Alles für Dich“ muß Kaiser nur ansingen, den Rest übernimmt das Publikum. Dann überkommen selbst Kaiser ungeahnte Gefühle, wie er gegenüber seinem Publikum gesteht: „Es gelingt euch immer wieder, mir eine Gänsehaut zu machen.“

Dabei ist die Show der zweistündigen Konzerte bisher nie sonderlich spektakulär gewesen. Es ist die Kopplung zwischen Star und Publikum, die die Auftritte zur „größten Roland-Kaiser-Party der Welt“ machen. Die Kaisermania ist ein Volksfest, wie es die Stadt nicht organisieren könnte. Auch vor und nach dem Konzert wird gefeiert und getanzt.

Da die Dresdner Konzerte, so zumindest die derzeitige Planung, unter den 3-G-Regeln stattfinden, könnte es vielleicht kurz vor Beginn oder im Internet noch einige Eintrittskarten geben. Denn Zutritt haben nur Geimpfte, Genesene oder Getestete. Ein Testzentrum ist vor Ort vorhanden.

Jetzt muß nur noch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer mitspielen und die Zuschauerbeschränkungen bis zu den Konzert-Terminen komplett aufheben. „Wir haben auf volles Risiko gesetzt“, so Konzertveranstalter Dieter Semmelmann. Andere Auftritte des Kaisers wurden bereits erneut verschoben, auf 2022.

 www.kaiser-mania.de