© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/21 / 06. August 2021

Sheriff spielen
„Violence Prevention Network“: Die Arbeit der Beratungsstelle für Extremismusprävention wirft Fragen auf
Björn Harms

Wenn man ins Suchfeld bei Facebook JUNGE FREIHEIT eintippte, erschien bis vor kurzer Zeit noch die folgende Warnung: „Diese Suchbegriffe können mit extremistischen Gruppen und Individuen in Verbindung gebracht werden“ (siehe Abbildung unten). Facebook arbeite mit „Organisationen zusammen, die helfen, die Verbreitung von Haß und gewalttätigem Extremismus zu verhindern“. Aufklärung erhalte der Facebook-Nutzer beim „Violence Prevention Network“ (VPN). Per Mausklick gelangte man auf die Webseite des VPN, einer deutschen Nichtregierungsorganisation (NGO), die im Bereich Extremismus­prävention sowie Deradikalisierung tätig ist. Mittlerweile ist der alarmierende Hinweis zur JF verschwunden. Bei zahlreichen weiteren Organisationen, Vereinen und Verlagen aus dem konservativen bis rechten Spektrum erscheint er weiterhin.

Wer bestimmt eigentlich, welche Organisationen mit dem Hinweis versehen werden? Facebook oder das Violence Prevention Network? Und nach welchen Kriterien werden diese Warnhinweise vergeben? Anfragen an Facebook bleiben erwartungsgemäß unbeantwortet. In den seltensten Fällen gibt der undurchsichtige Konzern Informationen preis. Einen direkten Ansprechpartner zu finden ist beinahe unmöglich. Auch beim VPN bleibt es bei Versuchen. Auf E-Mail-Anfragen der JUNGEN FREIHEIT reagiert zwei Wochen lang niemand. Am Telefon heißt es auf Nachfrage, die Pressesprecherin sei gerade in einer Konferenz. Sie bitte um Entschuldigung, werde sich aber später melden. Es meldet sich niemand. Einen Tag später ist die Pressesprecherin auf telefonische Nachfrage nicht im Haus.

„Wettbewerbswidrige Hinweise schrecken unbedarfte Nutzer ab“

Und so bleiben wichtige Fragen unbeantwortet: Warum zum Beispiel der Warnhinweis bei der JF verschwunden ist. Hat es etwas mit einem jüngsten Urteil aus Nordrhein-Westfalen zu tun? Erst kürzlich wurde NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) von einem Gericht untersagt, öffentlich zu behaupten, die Lektüre der JF könne als Warnsignal für eine rechtsextreme Gesinnung gewertet werden (JF 26/21). Die Richter begründeten dies mit einem erheblichen Eingriff in die Pressefreiheit. Wenn aber auf einer Tech-Plattform wie Facebook, auf der sich heutzutage die öffentliche Meinungsbildung maßgeblich abspielt, eine Zeitung mit Extremismus und Haß in Verbindung gebracht wird, ist die damit verbundene Einschränkung der Pressefreiheit wohl kaum geringer.

Derartige Warnhinweise seien „bei gewerblichen Anbietern von Medien herabsetzend und damit wettbewerbswidrig“, erklärt Medienanwalt Joachim Steinhöfel im Gespräch mit der jungen freiheit. Und fügt hinzu: Auch bei nicht gewerblichen Anbietern seien sie unzulässig. „Weil sie, soweit ersichtlich, ohne vertragliche Grundlage erfolgen und darüber hinaus persönlichkeitsrechtsverletzend scheinen.“ Das Problem: Kaum jemand wehrt sich dagegen. Hier spiele „auch das besondere Machtgefälle zwischen dem nicht substituierbaren Monopolisten Facebook und dem einfachen Nutzer eine Rolle“, meint Steinhöfel.

Somit bleibt festzuhalten: Eine private NGO besitzt eine wichtige Türsteher-Funktion über den öffentlichen Diskurs. Den unbedarften Nutzer könnten derartige Warnhinweise naturgemäß abschrecken. Womit unmittelbar auch wirtschaftliche Konsequenzen für den Gebrandmarkten verbunden sind. Wer oder was ist also das Violence Prevention Network?

Der 2004 gegründete Verein sieht sich als „einen Verbund erfahrener Fachkräfte, die seit Jahren mit Erfolg in der Deradikalisierung  extremistisch motivierter Gewalttäter sowie der Extremismusprävention tätig sind“. Seit 2015 wird die pädagogische Beratungsstelle vor allem über das Programm „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Noch vor sechs Jahren erhielten verschiedenste Projekte des Netzwerks 330.000 Euro. Die Summe steigerte sich von 340.000 Euro (2016) über 1.875.130 Euro (2017) und 2.910.720 Euro (2018) auf 3.360.115 Euro im Jahr 2019. In den vergangenen beiden Jahren erhielt die Organisation 2.932.419,86 Euro (2020) und 3.005.891,70 Euro an Projektmitteln, dazu addiert sich eine generelle Förderung des Vereins in Höhe von knapp 455.000 Euro jährlich. Auch aus mehreren Bundesländern erhält man finanzielle Unterstützung. Das Gesamtbudget für das Jahr 2019 gibt das VPN mit 7.535.003,10 Euro an. Die finanziellen Mittel sind also ausreichend vorhanden, um mittlerweile über 100 hauptamtliche Mitarbeiter zu beschäftigen. 

Seinen Einfluß macht der Verein auch bei der Beratung der Bundesregierung geltend. So nahm VPN im vergangenen Jahr an den Voranhörungen zum „Kabinettsausschuß zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ teil, der über die Verteilung von über einer Milliarde Euro im „Kampf gegen Rechts“ beriet. Vertreter der Organisation saßen dabei im Panel 1, das vom Staatssekretär des Innenministeriums, Markus Kerber, geleitet wurde. Hier ging es unter anderem um eine „Stärkung der Zusammenarbeit  zwischen  Sicherheitsbehörden,  Justiz,  staatlichen und  zivilgesellschaftlichen  Trägern“ im Bereich der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Der offizielle Bericht über das Treffen auf der Seite des BMI listet eine der zentralen Forderungen, die von seiten der Teilnehmer kamen: „Die Zusammenarbeit zwischen NGOs und staatlichen Exekutivorganen“ solle „institutionalisiert werden“, heißt es im Papier. Private Organisationen verlangen also mehr Einfluß auf den staatlichen Aufgabenbereich.

Den verstärkten Fokus der jetzigen Bundesregierung auf den „Kampf gegen Rechts“ wußte das VPN früh für sich zu nutzen. Schon 2015 verkündete das Netzwerk: „Das Erstarken von rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen wie Pegida oder AfD steigert die Notwendigkeit, wieder vermehrt Projekte im Bereich Rechtsextremismus zu implementieren.“ Schnell erkannte man die Möglichkeit, als Reaktion auf die Gründung der Partei weitere Fördermittel aufzutreiben: „Dies wird auch bei Violence Prevention Network zu neuen Projekt-aktivitäten führen“, hieß es damals.

Und so liegt der Hauptfokus auf dem Rechtsextremismus. Wenngleich der Verein in seinen Broschüren selbst fragt, ob dieser nicht auch die Bereiche „Nationalkonservatismus, Neue Rechte, Nationale bzw. Konservative Revolution“ umfasse, „oder doch nur Nationalsozialismus und Neonazismus“? Die Pädagogen versuchen nicht nur im Internet aufzuklären, sondern auch in alle öffentlichen Bereiche hineinzuwirken. Mitunter reicht der Arm des Vereins bis in die Kindergärten. Mit dem Projekt „Early Birds“ soll Diskriminierung bereits im Vorschulalter bekämpft werden. Erzieher sollen im Umgang mit Eltern trainiert werden, „die sich diskriminierend, pauschalisierend und abwertend gegenüber bestimmten Menschengruppen äußern und verhalten“. Als Stichworte werden dabei „Islamfeindlichkeit“, „Feindbild Flüchtlinge“ und „Rechtspopulismus und Rechtsextremismus“ genannt. 

Das zweite große Thema bei der Beratungsstelle ist der Islamismus. Es sei „deutlich geworden, daß  sich  die  Fälle junger Menschen, die islamistischen Radikalisierungsprozessen ausgesetzt sind, in Deutschland häufen“, heißt es in einer Publikation. VPN bietet Hilfe und Aufklärung in Gefängnissen an, um islamistische Insassen möglichst zu resozialisieren, versucht radikalisierte Personen mit pädagogischer Arbeit zu entideologisieren und leistet Aufklärungsarbeit in Moscheen.

Dabei greift der Verein mitunter selbst auf Mitarbeiter mit zweifelhaftem Ruf zurück. Lange Zeit koordinierte Pinar Çetin das Kooperationsprojekt Bahira, eine Zusammenarbeit zwischen dem „Violence Prevention Network“ und der Ditib-Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln. Die türkischstämmige Politologin veranstaltete im Rahmen des Programms Workshops in den Räumen der Moschee. Nach der Bundestagsresolution 2016 zum Völkermord an den Armeniern hatte sie den Genozid als Lüge bezeichnet. „[Die Abgeordneten sollten] überlegen, wie sie mit so einer Lüge und Verunglimpfung uns gegenüberstehen wollen. Insbesondere Abgeordnete mit sogenannter türkischer Herkunft haben keine Haltung zeigen können“, sagte sie.

Späterer Homosexuellen-Mörder wurde vom Projekt betreut 

Später kam es in der Moschee zum Eklat: Nach einer heftigen Verbalattacke auf Çetin stellte der Verein das Projekt zur Deradikalisierung ein. Die 36jährige wollte gerade zum Vortrag vor einer Schulklasse ansetzen, da umringten sie fünf aufgeregte Männer. Der türkische Religionsattaché Ahmet Fuat Çandır verwies sie lautstark des Hauses, da sie ein falsches Islambild vermitteln würde.

Auch ein anderer Fall beweist, wie die Sozialarbeiterromantik mitunter an ihre Grenzen stößt. Als 2020 in Dresden der Tourist Thomas L. ermordet wurde, geriet auch VPN in die Schlagzeilen. Denn der afghanische Täter, der aus Haß auf Homosexuelle mit dem Messer zustach, saß vorher im Gefängnis, wo er vom „Violence Prevention Network“ betreut wurde. Seine islamistische Weltsicht legte er offenbar nicht ab. „Ein Restrisiko bleibt“, bedauerte Geschäftsführer und Diplom-Pädagoge Thomas Mücke später in der taz. „Bei Deradikalisierung muß man davon ausgehen, daß es zu Rückfällen kommen kann. Sie können nicht jedes Feuer löschen, aber verhindern, daß es einen Flächenbrand gibt. Das trifft im übrigen auch auf die Sicherheitsbehörden zu.“

Foto: Projektleiter Thomas Mücke eröffnet 2015 mit der damaligen Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (r.) und Berlins Senatorin Dilek Kalayci (beide SPD) eine Beratungsstelle in der Berliner Sehitlik-Moschee: Nach heftigen verbalen Attacken eingestellt