© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/21 / 06. August 2021

Rosenkrieger und alte Kämpfer
Rußland: Die Parlamentswahl im Herbst 2021 als Auftakt zur nächsten Präsidentschaftswahl. Dann könnte so mancher Parlamentarier zu einem richtigen Oppositionellen werden
Jörg Sobolewski

Viel wird in westlichen Medien über eine „russische Opposition“ geschrieben, doch der Politikexperte Timofey Shevyakov ist deutlich kritischer, denn ein Teil dieser Opposition sei gar nicht so oppositionell. Die im Parlament vertretenen Parteien „kooperieren meist offen mit der Regierung“. Außerhalb des Parlaments tummeln sich viele Akteure, die es an offener Kritik nicht fehlen lassen, aber auch untereinander spinnefeind sind. 

„Die Kremlpartei ist nicht mehr sonderlich beliebt, aber die Oppositionsparteien sind noch unbeliebter“, sagt Shevyakov und verweist auf Resignation im Volk. Eine Chance auf Wechsel könnte es vermutlich „erst nach 2024 geben“. Denn Putin ist theoretisch in seiner letzten Wahlperiode. Seit einer Verfassungsänderung könnte der Amtsinhaber auch 2024 erneut antreten, hält sich bisher aber auffällig bedeckt. Viele Russen sehen die Parlamentswahl im Herbst 2021 als Auftakt zur nächsten Präsidentschaftswahl. Dann könnte so mancher Parlamentarier zu einem richtigen Oppositionellen werden. 

Seit Beginn der Putin Ära haben die Kommunisten ihn unterstützt

Wladimir Schirinowski, der Gründer und Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei Rußlands (LDPR), trägt sein Herz auf der Zunge. Mitunter poltert er auch gegen seine eigene Regierung, drohte etwa bei der Debatte um die Anhebung des Rentenalters den Rückzug seiner Partei aus dem Parlament an. Doch eine Gefahr für den Machterhalt des Kremls ist Schirinowskis Block nie gewesen. Kein Wunder, hatte doch bereits bei der Gründung der Partei der damalige KGB seine Hand im Spiel. Die Partei sollte ein Angebot für rechte Wähler sein, ohne eine Gefahr für das System darzustellen. In jüngster Zeit zeigt die Systemtreue aber Risse. 

In Chabarowsk, im äußersten Osten, wurde der Gouverneur Sergej Furgal wegen Mordverdacht festgenommen. Ein anonymer Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft gab gegenüber der Financial Times allerdings zu: „Bei der Verhaftung geht es nicht um Mord, nur um Politik.“ Furgal hatte bei der letzten Gouverneurswahl den Kandidaten der Kremlpartei weit hinter sich gelassen und sich geweigert, die Kandidatur zurückzuziehen. Ersetzt wurde er schließlich durch einen Parteifreund, der dem Kreml wohlwollender gegenübersteht. 

Während die LDPR eine vergleichsweise neue Partei ist, wurde die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) 1993 auf den Trümmern der mächtigen KPdSU gegründet – der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Sie sieht sich als Nachfolgerin der roten Einheitspartei und ihr Programm besteht großteils aus Sowjetnostalgie.

 In den neunziger Jahren konnte die KPRF große Erfolge einfahren, wurde zeitweise zur stärksten Kraft. Doch nach dem Höhepunkt 1996 rutschte die Partei allmählich in der Wählergunst ab und verlor an Einfluß. Immer mehr begannen die Klassenkämpfer ihr politisches Kapital für persönliche Anliegen in Verhandlungen mit Behörden zu nutzen. Sicher, sobald es in einem sensiblen sozialen Bereich zu kontroversen Fragen kommt, toben sich die Kommunisten im Parlament verbal aus, aber die Mitglieder der Fraktion stimmen seit Jahren so wie vom Kreml gefordert. 

„Die Kommunisten wollen nicht die Macht, ihr Ziel ist die Nutzung des Abgeordnetenstatus, der  parlamentarischen Tribüne und der Stellung in der Gesellschaft“, so Shevyakov. Für ihn sind die Kommunisten eine „Taschenopposition“. Seit dem Beginn der Ära Putin hat die Partei konsequent alle umstrittenen Initiativen der Behörden unterstützt, darunter die Monetarisierung von Sozialleistungen, die Rentenreform und Reformen des Gesundheitswesens. Die KPRF kanalisiert linke Protestwähler und lenkt die Stimmen der Älteren in eine für den Kreml beherrschbare Richtung ab. 

Aber auch die KPRF hat ihren Dissidenten: Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Pawel Grudinin hat sich den Zorn des Kreml zugezogen; zu offen kritisiert er in Spots die Sozialpolitik der Regierung, zu nahe ist er an Alexej Nawalny gerückt, meinen einige. Andere sehen in ihm unverändert einen Oligarchen, der in der Vergangenheit im Auftrag oder mit Billigung des Kreml handelte. Sein Ausschluß von der Parlamentswahl im Herbst hat zumindest für Aufsehen gesorgt. Grudinin verschwieg über Jahre hinweg mehrere Millionen Dollar auf ausländischen Konten vor der russischen Wahlbehörde. Erst ein ausgedehnter Rosenkrieg mit seiner Exfrau brachte die illegalen Konten ans Licht. Er selbst verweist auf „Krankenhausaufenthalte im Ausland“, die er stets in Fremdwährung bezahle. 

Wilde Opposition – Von Rotfront bis Regenbogen

Die außerparlamentarische Opposition in Rußland ist ein bunter Blumenstrauß an Ideologien. Von Monarchisten bis hin zu klassischen Grünen findet sich hier nahezu alles. Nur in Einzelfällen lassen sich die Staatsorgane zu einem Verbotsverfahren hinreißen. Etwa im Fall der Nationalbolschewistischen Partei. Diese forderte unter anderem einen gewaltsamen Umsturz, wurde 2005 verboten, bleibt jedoch im Untergrund aktiv, und ihre ehemaligen Mitglieder unterstützen mitunter andere oppositionelle Gruppen. 

Etwa das Bündnis um Nawalny, dem Wunschoppositionellen des Westens. Doch auch er kann von den schlechten Umfragewerten für die Kremlpartei nicht profitieren. Nawalny bleibt unbeliebt. Deutlich über die Hälfte der Russen lehnen ihn ab, lediglich 19 Prozent sympathisieren mit ihm, wie eine Umfrage des Levada-Instituts ergab. Lediglich unter der jungen Bevölkerung ist Nawalny populär. 

Von eher geringer Gefahr für das System Putin sind auch die „Partei der Volksfreiheit“ und die Jabloko. Letztere zählt eher zum sozialliberalen, erstere zum wirtschaftsliberalen Spektrum. Beide scheitern bisher konsequent an der Fünfprozenthürde. Am ehesten kratzt immer wieder die Jabloko am Einzug ins Parlament. Bis 2003 konnten die Liberalen sich halten, dann verschwand die Partei aus dem Parlament. Heute ist Jabloko im Land dem einen oder anderen bekannt, große Chancen werden ihr jedoch nicht ausgerechnet. Immerhin: Seit dem 8. September 2019 ist Jabloko mit vier Abgeordneten in der Moskauer Stadtduma vertreten, was nicht zuletzt auf die Unterstützung durch Alexej Nawalny zurückzuführen ist. 

Foto: Der Chef der Liberaldemokratischen Partei Rußlands, Wladimir Schirinowski, der Vorsitzende der KP Rußlands, Gennadi Sjuganow, der Fraktionsvorsitzende der Partei „Einiges Rußland“ in der Staatsduma, Sergej Neverow, sowie der Vorsitzende der Partei „Gerechtes Rußland – Für die Wahrheit“, Sergej Mironow (v.l.n.r.): Bei dem Jugend-bildungsforum Terra Scientia 2021 nahe Moskau fehlte der gerade bei jungen Russen beliebte Oppositionelle Alexej Nawalny