© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/21 / 06. August 2021

Mut statt Pessimismus
Kampf um den deutschen und europäischen Wald: Waldbesitzer loben die Bundesregierung und geißeln die EU-Kommission
Josef Hämmerling

Michael Jakob, seines Zeichens  Revierförster in Dossenheim, an der Badischen Bergstraße gelegen, fällt schon etwas aus dem Rahmen. „Der Zustand des Waldes hat sich 2021 verbessert – aber nur minimal“, erklärte er Mitte Juni der Rhein-Neckar-Zeitung. „Zuletzt hatten wir Glück mit einem feuchten Winter und kühlen Frühjahr“, zitiert das Blatt Jakob. Der Wuchs von Pflänzchen und Unkraut sei dieses Jahr extrem – „da kommt einem auf den Wegen die grüne Hölle entgegen“, scherzte der Förster. Und da die Nächte noch bis in den Mai recht kalt waren, sei der Borkenkäfer noch nicht so aktiv, eine Generation und somit der Anfang ihres exponentiellen Wachstums sei übersprungen. „Die Schäden durch den Befall halten sich bisher zum Glück in Grenzen, auch weil die Fichten dieses Jahr besser Harz bilden können“, so Förster  Jakobs Fazit.

„Mutmacher“ nannte ihn die Rhein-Neckar-Zeitung. Eine der wenigen Ausnahmen. Denn sowohl der am 14. Juli 2021 von der Bundesregierung gebilligte Waldbericht als auch die am 16. Juli vorgestellte neue EU-Waldstrategie für 2030 malen ein eher düsteres Bild. „Die starken Stürme, die extreme Dürre und Hitzewellen sowie die massenhafte Vermehrung von Borkenkäfern haben in Deutschland vielerorts zu massiven Waldschäden geführt. Nahezu alle Hauptbaumarten weisen Schadsymptome auf. Derzeit müssen über 277.000 Hektar wieder bewaldet werden. Dies ist eine Generationenaufgabe und stellt viele Waldbesitzende vor enorme wirtschaftliche, logistische und personelle Herausforderungen“, beschreibt der deutsche Waldbericht. 

1,5 Milliarden Euro Waldprämie als Erste Hilfe vom Bund

Doch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner will auch nicht nur Pessimismus verbreiten. „Der Bericht zeigt: Unsere Hilfen schlagen Wurzeln. Wir helfen den Waldbesitzenden effektiv, unkompliziert und schnell, neue widerstandsfähige und standortangepaßte Mischwälder zu pflanzen und die Wälder damit besser an den Klimawandel anzupassen. Wir wollen, müssen und werden unserer Verantwortung für unsere grüne Lunge gerecht“, betonte die CDU-Politikerin.   

Insgesamt seien zur Bewältigung der aktuellen Waldschäden für den Sektor Forst und Holz Unterstützungsmaßnahmen in Höhe von insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Insbesondere durch die Bundeswaldprämie sei auch ein nachhaltiger Effekt erzielt worden: „Anknüpfend an die Fördervoraussetzung konnten innerhalb kurzer Zeit über 865.000 Hektar Wald im Privat- und Kommunalwald erstmalig und neu zertifiziert werden.“

Vor allem die EU-Waldstrategie 2030 im Rahmen des Green Deal, die laut Kommission die „Quantität und Qualität der Wälder in der EU verbessern“ soll, hat es in sich:

• Steigerung der Waldbedeckung in der EU unter Einhaltung ökologischer Grundsätze

• Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der Wälder in der EU

• strikter Schutz der verbleibenden Primär- und Urwälder in der EU

• Festlegung rechtsverbindlicher Wiederherstellungsziele für Wälder

• Anpflanzung von drei Milliarden zusätzlichen Bäumen bis 2030

• Schaffung von Zahlungsregelungen für Waldbesitzer und Waldbewirtschafter für die Erbringung von Ökosystemdienstleistungen 

• Förderung nachhaltiger Grundsätze für den Bioökonomie-Sektor

• Förderung der Anwendung von nachhaltig geerntetem Holz im Bausektor

• Förderung von für alle vorteilhaften Maßnahmen in der nachhaltigen Forstwirtschaft

• Verbesserung der Überwachung des Zustands der Wälder in der EU, unter anderem durch bessere Fernerkundung

• Sicherstellung, daß die Mitgliedstaaten Strategiepläne für ihre Wälder entwickeln

• Schaffung eines inklusiven Diskussionsraums für alle Interessenträger 

Während Hans-Georg von der Marwitz, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW), die Hilfe der Bundesregierung auf der einen Seite lobte: „Diese Unterstützung hat den Waldbesitzern sehr geholfen, sie war dringend nötig, um die Unmengen Schadholz zu beräumen, die nach drei Dürrejahren angefallen sind, und um die Flächen mit klimaresilienten Baumarten wieder zu bewalden“, zeigten sich die Waldeigentümer auf der anderen Seite enttäuscht von der Waldstrategie der EU-Kommission. So könnten keine Wälder der Zukunft geschaffen und die ambitionierten Klimaziele nicht erreicht werden, betonte die AGDW-Verbandsspitze. Statt die Waldeigentümer für die Umsetzung des Green Deal zu motivieren, setze die EU-Kommission in ihrer neuen Waldstrategie auf „detailverliebte, ideologisch und einseitig geprägte Vorschriften“ zur Waldbewirtschaftung und Kontrolle.

In der neuen Waldstrategie würden die Multifunktionalität der Wälder mißachtet und die bestehende erfolgreiche nachhaltige Waldbewirtschaftung in Frage gestellt, so die weitere Kritik der AGDW.  Sie sei nicht ausgewogen hinsichtlich der verschiedenen Funktionen des Waldes und lasse umfassende konkrete Maßnahmen zur Unterstützung des Forstsektors vermissen. Dadurch entstünden massive Zielkonflikte, deren Lösung auf die Waldbesitzer abgewälzt würde. „Das ist kein ‘Green Deal’“, so  Ivo von Trotha, AGDW-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Waldbesitzerverbandes CEPF.

Die Waldbesitzer hätten von der neuen EU-Waldstrategie erwartet, daß diese ein Koordinationsinstrument für die vielen bisher unkoordinierten waldbezogenen EU-Politiken sei. Diese Erwartung  sei jedoch nicht erfüllt worden, so von Trotha weiter. 

Vor allem habe sich die Kommission über die im EU-Vertrag verankerte Kompetenzverteilung zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten hinweggesezt. Immerhin zwei Drittel der Wälder in Deutschland befänden sich im Besitz von Familien und Kommunen. Daher könne diese Strategie nur mit Anerkennung und Respekt gegenüber denjenigen umgesetzt werden, die ihre Wälder seit Generationen pflegen, erhalten und nachhaltig bewirtschaften. „Keiner erlebt die Herausforderungen des Klimawandels seit einigen Jahren direkter als die Millionen von Menschen, die von und für den Wald leben“, sagte von Trotha. Um die Jahrhundertaufgabe der Anpassung der Wälder an den Klimawandel zu meistern, bräuchten die Waldbesitzer eine politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Unterstützung für ihre Arbeit, nicht aber eine Strategie, die noch mehr Unsicherheit schaffe.

Die „Detailversessenheit und die zunehmende Bürokratie der neuen EU-Waldstrategie“ zeigt sich nach Angaben der AGDW an Forderungen wie nach einem zusätzlichen Zertifizierungssystem, an der Werbung für das Natura-2000-Logo für Nichtholzprodukte, an Vorschriften zum Maschineneinsatz im Wald. Nichts davon werde der Vielfalt der Wälder zwischen portugiesischen Korkeichen und finnischen Fichten gerecht. Vielmehr würden die vielfältigen Ökosystemleistungen und der Beitrag der Wälder zum Klimaschutz untergraben. 

„Die privaten und kommunalen Waldbesitzer in Deutschland sind bereit, ihre Rolle bei der Erreichung der Ziele des Green Deal zu spielen, erwarten aber, daß sie als diejenigen, die die EU-Initiativen umsetzen sollen, bei der Entwicklung eines ausgewogenen politischen Rahmens angemessen beteiligt werden. Unser Prüfstand für die Strategie hat sieben Kriterien: Kohärenz, Partizipation, Kompetenz, Ganzheitlichkeit, Faktenbasis, Folgenabschätzung und Finanzierungskonzepte“, erklärte von Trotha.

Letztere liegen den Waldbesitzern besonders am Herzen. Daher betont Norbert Leben, Vizepräsident der AGDW, daß die Krise des Waldes die Existenz der Waldeigentümer in vielen Regionen Deutschlands gefährde. Vor diesem Hintergrund müßten die verschiedenen Ökosystemleistungen des Waldes – vom Klimaschutz über Trinkwasser, Erholung und Artenvielfalt bis zum Rohstoff Holz –, die „aufgrund des Klimawandels“ gefährdet seien, erhalten bleiben. Gerade die „lebenswichtigen Ökosystemleistungen wie die Klimaschutzleistung des Waldes“, müßten eine „dauerhafte Honorierung“ erfahren.

Forderung nach Waldumbau mit heimischen Baumarten

Finanziert werden soll die Honorierung der Klimaschutzleistung des Waldes aus dem Energie- und Klimafonds (EKF), der sich aus der CO2-Bepreisung des Verkehrs- und Gebäudesektors finanziert. Damit speise sich die Klimaschutzleistung des Waldes aus den Geldern der Emittenten. Auch dies begrüßte der Präsident: „Dieses Modell kommt unseren Forderungen und Vorstellungen sehr nahe“, unterstrich von der Marwitz und lobte die auf dem Waldgipfel am 2. Juni 2021 in Sachsen-Anhalt von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner vorgestellte neue Bundesinitiative „Klimaschützer Wald“ – ein Modell, mit dem die Klimaschutzleistung des Waldes honoriert werden soll.

„Dabei muß klar sein: Die Stillegung von Wäldern darf keine Unterstützung erhalten“, so die Forderung des Präsidenten. „Wer Wälder aus der Nutzung nimmt, konterkariert den Klimaschutz und sorgt in der Zukunft für einen Mangel an Holz.“ Jetzt komme es darauf an, daß diese Bundesinitiative schnell umgesetzt werde, damit die Unterstützung unbürokratisch zu den Waldbewirtschaftern komme.

„Der Waldumbau ist eine Jahrhundertaufgabe und muß immer wieder angepaßt werden“, sagte Sven Wagner, Professor für Waldbau der TU Dresden, dem MDR. Der Klimawandel stelle den Umbau des Waldes vor Herausforderungen. Denn es sei sehr unsicher, wie dynamisch sich der Klimawandel weiterentwickele und in welchem Bereich sich der Temperaturanstieg begrenzen lasse. Wagner betonte, daß sich zwar der Großteil des deutschen Waldes auf natürlichem Weg verjünge. Soll aber die Vielfalt gestärkt werden, müsse man die Baumarten dorthin bringen, wo sie gebraucht werden. Vielfalt sei nämlich notwendig, da sich ertragversprechende Monokulturen von früher heute zumindest teilweise mitverantwortlich für die vielen kahlen Stellen in den Wäldern seien.

Waldbau-Experte Wagner meint, einfache Lösungen gebe es auch hier nicht. Weder gebe es den einen Wunderbaum, noch könne einfach alles der Natur überlassen werden. Ein mögliches Szenario sieht Wagner aber in Wald-Ökosystemen, die es hierzulande so noch nicht gab. Vor einigen Jahrzehnten sei es beim Waldumbau noch darum gegangen, die Baumvielfalt mit heimischen Arten zu erhöhen. 

Doch inzwischen würden vermehrt auch Bäume aus anderen Regionen in den Blick genommen – Douglasie, Robinie und Eßkastanie etwa. Viele Naturschützer und Waldbesitzer sehen dies aber skeptisch. Sie befürchten, daß diese Arten heimische Pflanzen und Tiere verdrängen könnten. Hierzu gehört auch Bärbel Kemper, Waldbesitzerin aus Liebstadt am Rande der Sächsischen Schweiz, die kürzlich mit dem Deutschen Waldpreis ausgezeichnet wurde. Sie setzt einem Bericht des MDR zufolge „auf insektenfreundliche Aufforstungen, vor allem auf Feuchtbiotope und artenreiche Waldsäume“. 

Darüber hinaus auf Streuobstflächen, Naturschutzteiche und Grünland, die Lebensraum für viele Tierarten mit einem breiten Nahrungsangebot bieten. Kempers Ziel ist es, den Waldumbau „mit heimischen Baumarten zu bewältigen, denn diese Baumarten sind die wichtigsten Bestandteile unserer heimischen Waldökosysteme, an welche neben den Insekten alle anderen Arten, wie die Bodenlebewesen, die Mykorrhizapilze, Vögel und so weiter angepaßt sind“. Das großflächige Einbringen von Baumarten aus anderen Kontinenten schwäche hingegen die heimischen Ökosysteme, die sich in Jahrtausenden miteinander entwickelt und angepasst hätten.

Auch im Erzgebirge setzt man laut MDR auf eine alte, zwischenzeitlich fast ausgestorbene Baumart in den Gebirgslagen: die Weißtanne. Sie war im 16. Jahrhundert im Erzgebirge mit einem Bestand von einem Drittel im Dunkelwald weit verbreitet. In den folgenden Jahrhunderten reduzierte sich der Bestand aufgrund von Schwefeldioxid-Emmissionen, Kahlschlägen und hohem Wildverbiß aber immer mehr, bis die Weißtanne fast vom Aussterben bedroht war. 1955 betrug ihr Anteil in den Wäldern Sachsens noch gerade 0,03 Prozent. 

Nach Angaben von Sachsens Forstminister Frank Kupfer (CDU) wurden von 1991 bis 2011 bereits rund acht Millionen junge Weißtannen auf einer Fläche von insgesamt 2.800 Hektar im sächsischen Staatswald gepflanzt. „Die gezielte Anpflanzung der Weißtanne in den sächsischen Mittelgebirgen ist ein wesentlicher Bestandteil des Waldumbaus in Sachsen“, so Kupfer. 

„Die Weißtanne hat den Vorteil, daß sie eine Pfahlwurzel hat, also eine Wurzel, die tief in den Boden reicht. Damit hat sie eine größere Sturmfestigkeit, und sie kann Wasserreserven erschließen, die die Fichte als Flachwurzler so nicht hat“, begründet der Forstbezirksleiter von Eibenstock, Stephan Schusser, die Bevorzugung der Weißtanne.

Foto: Wanderer auf dem Gipfelplateau Orensfels (Rheinland-Pfalz): Blick über den Pfälzerwald