© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/21 / 06. August 2021

Ethische Standards taugen nur als Marketingstrategie
Moral ist schlecht fürs Geschäft
(ob)

Der Philosoph Thomas Metzinger (Mainz) ist um eine Illusion ärmer worden. Als Mitglied einer aus 800 europäischen Universitäten rekrutierten Expertengruppe, die im Auftrag der EU-Kommission Ethik-Richtlinien für Künstliche Intelligenz erarbeiten sollte, mußte er erfahren, daß die Vertreter der Wirtschaft, vorweg die Lobbyisten der IT- und Rüstungskonzerne, keinerlei Interesse an allzuviel „Moral“ beim Geschäft zeigten. Zur Pflege des Gender-, Diversity- und Nachhaltigkeits-Image stehen zwar Werbeetats in Milliardenhöhe bereit, üppige Spenden fließen an Blake Lives Matter, Greenpeace & Co. Ernst mit „ethischen Standards“ nehme man es jedoch nicht, wenn es gelte, „Zukunftsmärkte“ zu erobern. Man sei von Gier und Neid getrieben und verfolge, allen grünen Lippenbekenntnissen zum Trotz, weiter das alte „rein ökonomische Wachstumsmodell“. Alles andere sei Marketingstrategie, Dekoration und pures „ethics washing“. Soweit gerade deutsche Vertreter in der Expertengruppe die Hoffnung hegten, die EU könnte mit einer „ethisch vertrauenswürdigen Technologie, kombiniert mit Frau von der Leyens Green Deal“ globale Maßstäbe setzen für einen „gemeinwohlorientierten, ethisch fundierten Umgang mit Zukunftstechnologie“, wurden sie enttäuscht. Ethik gelte in der Konkurrenz mit den USA und China als Wettbewerbsnachteil. Was langfristig dazu führe, „demokratische Grundwerte“ preiszugeben und sich Pekings „Totalitarismus 2.0“ zu unterwerfen, mit dem immerhin 80 Prozent der von Künstlicher Intelligenz überwachten Bevölkerung Chinas sehr zufrieden seien (Forschung & Lehre, 7/2021). 


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