© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/21 / 06. August 2021

Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz
Der Weg in die Öko-Diktatur
Björn Schumacher

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz (KSG-Beschluß vom 24. März 2021, 1 BvR 2656/18) markiert einen Tiefstand bundesdeutscher Justizgeschichte. Sie atmet den Geist grüner Ideologie.

Das beginnt schon bei der Sprache. Eine Person, die eine Verfassungsbeschwerde einreicht, wird in den Paragraphen 90 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerf­GG) als „der Beschwerdeführer“ bezeichnet, ein generisches Maskulinum mit endungsgleichem Plural („die Beschwerdeführer“). Arrogant setzt sich Karlsruhe über diesen zentralen Rechtsbegriff hinweg. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, beseelt vom Drang nach „geschlechtersensibler“ Sprache, verformt ihn zum Gender-Unwort „die Beschwerdeführenden“.

Noch schwerer wiegt ein zweites formellrechtliches Manko, das Fehlen einer mündlichen Verhandlung. Das steht in Widerspruch zu Paragraph 25 Abs. 1 Halbsatz 1 BVerfGG. Zwar erlaubt die Vorschrift eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, wenn alle Beteiligten ausdrücklich auf die Mündlichkeit verzichten (die Entscheidung ergeht dann nicht per Urteil, sondern per Beschluß, Paragraph 25 Abs. 2 BVerfGG). Einen plausiblen Grund, auf die mündliche Verhandlung zu verzichten, gab es hier aber nicht.

Ganz im Gegenteil warf die Verfassungsbeschwerde profunde rechtliche und naturwissenschaftliche Fragen auf, die einen unvoreingenommenen Senat hätten veranlassen müssen, zwecks umfassender Klärung mündlich zu verhandeln. Klimaforscher hätten dabei divergierende Erklärungsansätze und Prognosen diskutieren können. Auch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften hätte der Senat anhören sollen; denn die von ihm geforderte „Klimaneutralität“ dürfte zur Gretchenfrage für den Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland werden. Arbeitsmarkt, Preisstabilität und die sozialen Sicherungssysteme würden sich einer nie erlebten Belastungsprobe stellen müssen.

Waren die Richter voreingenommen oder gar im Rechtssinne befangen, auch wenn das kein Verfahrensbeteiligter gerügt hat? Ein Blick auf einige Lebensläufe fördert Interessantes zutage.

Vorsitzender Richter des Ersten Senats und zugleich Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist Stephan Harbarth, früherer CDU-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Ende November 2018 wechselte er nach Karlsruhe. Nach dem Prinzip der Gewaltenteilung muß er dort jenes Verfassungsorgan kontrollieren, dem er unmittelbar zuvor noch angehörte. Der dem Rechtsstaat vertrauende Bürger stellt sich unter „Gewaltenteilung“ etwas anderes vor.

Als Abgeordneter war Harbarth zugleich Sozius und Geschäftsführer einer Mannheimer Anwaltskanzlei, deren Mandantschaft international agierende Konzerne wie die Volkswagen AG umfaßt. Sie dürften wohlwollend registriert haben, daß Harbarth in seiner letzten Bundestagsrede − eher polemisch als völkerrechtlich geprägt − für die Annahme des UN-Migrationspakts warb. Ebenso könnte den auf E-Mobilität setzenden VW-Konzern der mit dem KSG-Beschluß verbundene Einstieg in die „ökologische Marktwirtschaft“ gefreut haben.

Auf Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen kam Verfassungsrichterin Susanne Baer nach Karlsruhe, die sich bereits 1999 als „radikale Feministin“ verortete. Seit 2002 ist sie Lehrstuhlinhaberin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität, wo sie bis 2010 auch ein aus Bundesmitteln gefördertes „GenderKompetenzZentrum“ leitete.

Berichterstatterin des KSG-Verfahrens war die auf Betreiben der SPD zur Verfassungsrichterin ernannte Gabriele Britz. Kurzzeitig hatte sie dem UN-Ausschuß für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) angehört. Seit 2002 hat Britz den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen inne.

Ehemann von Gabriele Britz ist der Grünen-Kommunalpolitiker Bastian Bergerhoff („Der heimliche Herrscher der Grünen“, Frankfurter Neue Presse, 19. Mai 2021). Auf seinem Weblog publizierte er im Dezember 2020 Thesen zum anthropogenen Klimawandel und einem angeblich noch verbleibenden CO2-„Restbudget“ (vor dem Erreichen eines irreversiblen Klima-„Kipp-Punkts“), die sich fast wortgleich im KSG-Beschluß wiederfinden. Hat Verfassungsrichterin Britz bei ihrem Ehemann „abgeschrieben“ oder hat sie diese Sätze während des schwebenden Verfahrens in seinen Blog „diktiert“?

Ebenso verwunderlich sind die materiellrechtlichen Gründe der KSG-Entscheidung. Eventuell verletzte Grundrechte der „Beschwerdeführenden“ – teils im Inland, teils im Ausland lebende natürliche Personen – werden nicht systematisch aufgelistet und geprüft. Eher verschachtelt stellt der Senat heraus: „§ 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG […] genügen jedoch nicht dem aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgenden Erfordernis, die nach Art. 20a Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen.“

Indirekt rügt Karlsruhe hier eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 1 GG; denn das Verhältnismäßigkeitsgebot ist untrennbar mit der Rechtsstaatlichkeit verknüpft. Konkret bemängelt der Senat, daß das KSG bis 2030 einen großzügigen CO2-Ausstoß von insgesamt circa sechs Gigatonnen zulasse, aber keine Vorgaben für das vermeintlich minimale CO2-„Restbudget“ von 0,7 Gigatonnen im Zeitraum 2030 bis 2050 mache. Daher drohe nach 2030 eine extreme Deckelung des CO2-Ausstoßes und eine „Vollbremsung“ des privaten und öffentlichen Lebens mit erheblichen Grundrechtseinschnitten.

Diese Argumentation ist ein Quantensprung. Die vertraute freiheitlich-demokratische Grundordnung wird von den Füßen auf den Kopf gestellt. Das Bundesverfassungsgericht versucht gar nicht erst, „unglaubliche Freiheitsbeschränkungen“ (Sebastian Müller-Franken, Cicero, 7/21) und Wohlstandsvernichtung zu verhindern. „Klimaneutralität“, also der Gleichstand zwischen CO2-Emissionen und der Absorption von CO2 in natürlichen oder künstlichen Kohlenstoffsenken, wird zum ranghöchsten Wert, der individuelle Handlungsfreiheiten verdrängt. Grund-rechte interessieren den Senat nur insoweit, als sie bis 2050 gleichmäßig und „freiheitsschonend“ beschränkt werden sollen. Kaschieren läßt sich dieser verfassungsrechtliche Schildbürgerstreich mit der listigen Formel „Ohne Klimaschutz keine Freiheit“ (Jasper von Altenbockum, FAZ, 29. Mai 2021).

Bei Lichte betrachtet beruht die KSG-Entscheidung auf drei Prämissen. Hierzu gehört erstens die Auslegung von Art. 20a GG als „Klimaschutzgebot“. Das irritiert freilich schon deshalb, weil der Klima-Begriff im Grundgesetz gar nicht auftaucht. Art. 20a GG lautet: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Die Entstehungsgeschichte dieser Staatszielbestimmung − 1994 ins Grundgesetz aufgenommen – offenbart, daß es vor allem um Müll, Luft- und Wasserverunreinigungen geht. Andreas Voßkuhle, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, deutet Art. 20a GG zwar auch als Pflicht zur Begrenzung von Treibhausgasen, fordert aber keine „Klimaneutralität“. Seine Nachfolger am höchsten Gericht verkennen zudem, daß Art. 20a GG den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nur „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ gewährleisten will. Das ist eine klare Absage an jede Form von „Öko-/Klimadiktatur“. Karlsruhe interpretiert etwas ins Grundgesetz hinein, was außer den Jüngern der Klimareligion dort niemand wahrnimmt.

Zweite Prämisse ist die These, „Klimaneutralität“ lasse sich vertretbar durch ein (überarbeitetes) Klimaschutzgesetz erzielen. Hier spiegelt sich der absurde Missionarseifer von Fridays for Future: Deutschland mit seinem Zwei-Prozent-Anteil am menschengemachten CO2-Ausstoß soll bei der Weltrettung vorangehen, koste es, was es wolle. Im übrigen verliert Karlsruhe kein Wort zum unzureichenden, auf Wind-, Solar-, Wasser- und Biogasenergie setzenden Instrumentarium deutscher Klimaschützer. Wer sich bei der Interpretation von Art. 20a GG derart weit aus dem Fenster lehnt, sollte um ein klares Plädoyer zum Einsatz der Kernenergie nicht verlegen sein.

Dritte Prämisse ist das Dogma, das „Pariser Klimaziel“, also eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 bis höchstens zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter, gerate durch „Klimaneutralität“ in Reichweite − klassische Ausprägung monokausalen Denkens zur Lösung eines multikausalen Problems. Schwankende Sonnenaktivitäten, über Jahrmillionen hinweg wichtigster Auslöser von Klimaveränderungen, kommen in der Argumentation des Ersten Senats nicht vor. Statt dessen unterlaufen ihm, wie der Chemiker und Klimaexperte Fritz Vahrenholt betont, mehrere „schwere Abwägungsfehler“ (Tichys Einblick, 8/21).

Exemplarisch zitiert er aus dem KSG-Beschluß: „Nur kleine Teile der anthropogenen Emissionen werden von den Meeren und der terrestrischen Biosphäre aufgenommen.“ Derartiger Unfug, so Vahrenholt, habe zu gravierenden Fehlberechnungen des nach dem Pariser Klimaabkommen zulässigen CO2-„Rest-Budgets“ geführt (vgl. JF 26/21).

Wissenschaftspublizist Holger Douglas bilanziert: „Der Spruch aus Karlsruhe ist letztlich die Erbsünde einer Politik, die einen Machtblock quer durch alle Institutionen installiert hat. Nach diesem Skandalspruch ist die politische Linie klar: Karlsruhe hat die Klimakinder heiliggesprochen. Doch der Heiligenschein des obersten Gerichts ist weg“ (JF 19/21). 

Wo anstelle exakter Berechnungen und Abwägungen schlichte Gesinnungsethik gefragt ist, löste der KSG-Beschluß Jubelstürme aus. Grünen-Aktivistin Luisa Neubauer twitterte: „Wir haben gewonnen!!! Unserer Klimaklage vor dem BVerfG wurde zugestimmt. Es ist riesig. Klimaschutz ist nicht nice-to-have, Klimaschutz ist unser Grundrecht. Jetzt kämpfen wir weiter, für eine 1,5-Grad-Politik, die unsere zukünftigen Freiheiten schützt, statt sie zu gefährden.“ Das Bundesverfassungsgericht, einst stolzer „Hüter der Verfassung“ und ihrer Freiheitsgrundrechte, endet als Türsteher einer jakobinerhaften Klimaschutzreligion.

Hektisch verständigten sich CDU/CSU und SPD auf eine Gesetzesnovelle, die über den Richterspruch sogar noch hinausgeht. Die Angst vor den strengen Taktgebern des politischen Diskurses, Bündnis 90/Die Grünen und ihren „Klimakindern“ Luisa Neubauer, Carla Reemtsma und Co., läßt kein abwägendes Handeln zu. So soll das „Treibhausgasminderungsziel“ bis 2030 nicht − wie im alten KSG vorgesehen − um 55 Prozent, sondern um 65 Prozent steigen (bezogen auf 2020). Für 2040 ist jetzt ein neues Zwischenziel von 88 Prozent vorgesehen. 2045 und nicht erst 2050 soll Deutschland „klimaneutral“ sein, und nach 2050 soll der Atmosphäre sogar CO2 entnommen werden.






Dr. Björn Schumacher, Jahrgang 1952, ist Jurist. Bekannt wurde er durch die Studie „Die Zerstörung deutscher Städte im Luftkrieg“ (Graz 2008). Auf dem Forum schrieb er zuletzt über das Zurückdrängen von Wissenschaft zugunsten von  Zivilreligion („Rückwärts in die Zukunft“, JF 2/20).

Foto: Die Spitze des Eisbergs: Nach 2030 droht ein mit Klimaschutzbelangen begründeter Lockdown des privaten und öffentlichen Lebens mit erheblichen Grundrechtseinschnitten – abgesegnet vom Bundesverfassungsgericht