© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/21 / 06. August 2021

Demokratie ist kein Faktencheck
Der Soziologe Alexander Bogner über die Macht des Wissens
Felix Dirsch

Von Platons Versuch, Herrschaft und Weisheit zu versöhnen, über die Szientisten des 19. Jahrhunderts (Comte, Fourier und so fort), die Politik in Wissenschaft und Technik übersetzen wollten, bis zum Einfluß heutiger notorischer Regierungsvirologen wie Christian Drosten oder Robert-Koch-Institut-Präsident Lothar H. Wieler ist eine Verbindungslinie nicht zu übersehen.

Obwohl Fachkompetenz stets eine entscheidende Grundlage für politisches Handeln darstellt, hat die Bedeutung von einschlägigem Wissen in politischen Kontexten zuletzt deutlich zugenommen. Der Soziologe Alexander Bogner erörtert die „Epistemisierung des Politischen“ vornehmlich am Beispiel aktueller Wissenskonflikte im Rahmen der Corona- und der Klimakrise, aber auch der Debatte um Impfkampagnen und der Kriminalitätsstatistiken. 

Ist jener Politiker am besten beraten, der der Expertise der Fachleute am ehesten folgt? Ganz so einfach ist es nicht, da der politischen Entscheidungsebene meist sehr unterschiedliche Gutachten vorliegen. Gerade in der Frage von Corona hat man sich dann auch noch auf eine einseitige Interpretation des Infektionsgeschehens festgelegt. Aber selbst ein 97-Prozent-Expertenkonsens in umkämpften Themen, wie im Zusammenhang mit dem angeblich primär menschengemachten Klimawandel, ist Wunschdenken derjenigen, die eindeutige Lösungen bevorzugen. 

Selbst wenn es eine solche weitgehende Übereinstimmung unter ausgewiesenen Kennern gäbe: Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich irgendwann die Sicht der Minderheit durchsetzt; Charles Darwin oder Ignaz Semmelweis sind prominente Beispiele. Zudem hat Erkenntnis nicht immer mit der „reinen Wahrheit“ zu tun, sondern häufig mit Interessen einflußreicher Gruppen. Wer die Furcht- und Drohkulisse des zwischenzeitlich täglich gemeldeten Inzidenzwerteanstiegs des RKI als nicht aussagekräftig ablehnt, muß damit rechnen, als „Verschwörungstheoretiker“ tituliert zu werden.

Wenngleich Bogner vorschnell die in seinen Kreisen üblichen Schubladisierungen („Populisten“, „Verschwörungstheoretiker“ etc.) bevorzugt, tut er gut daran, eine etwaige Viro- und Klimatokratie kritisch zu beleuchten. Mit dieser Einstellung kann er an die Ablehnung technokratischer Vorstellungen durch linke Autoren in den sechziger und siebziger Jahren anschließen. Politische Probleme, so folgert er, sind aufgrund ihrer Komplexität nicht durch die Beantwortung von Wissensfragen zu lösen. Das linke Lager dürfte seine Ergebnisse nicht uneingeschränkt goutieren, werden doch sogenannte Coronaleugner, Klimawandelleugner, Impfgegner und andere bezichtigt, nicht auf die Wissenschaft zu hören. Als wenn das so einfach wäre!

Alexander Bogner: Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet. Reclam Verlag, Stuttgart 2021, broschiert, 131 Seiten, 6 Euro