© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/21 / 06. August 2021

Ein fauler grüner Kompromiß
Linke Fundamentalkritik an den leeren Versprechungen des „kapitalistischen“ Green New Deal
Christoph Keller

Die Wahl von Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin ist für die Grünen ein Debakel. Zur Ablenkung soll nun lieber über „Inhalte“ statt über „Formalien“ gestritten werden. Mit Friedrich Nietzsche wäre darauf zu antworten: Schlechter Stil verrät gesetzmäßig faules Denken. Aufschneiderei, dürftige Bildung, infantile Rhetorik oder intellektuelle Defizite finden sich auch bei den politischen Wettbewerbern ihrer Generation, doch die grünen „Inhalte“ offenbaren nicht nur bei ihnen einen fundamentalen Wirklichkeitsverlust.

Und die Fundamentalkritik kommt auch von links. Die fällt um so schärfer aus, je mehr grüne Kindergartenträume die Agenda bestimmen. Die Förderung von Wind- und Solaranlagen und der Atomausstieg wurden vom grünen Umweltminister Jürgen Trittin angestoßen. In den 16 Merkel-Jahren wurde die Energiewende tatsächlich exekutiert, und 2020 kam sogar noch das Kohleausstiegsgesetz obendrauf. Die Grünen wollen „ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen“. Statt „Öl und Erdgas wärmt uns künftig die Kraft der Erneuerbaren“, heißt es in ihrem Bundestagswahlprogramm.

Der weitverbreitete Sirenengesang von der grünen Klimaneutralität

Das Klimapaket „Fit for 55“ von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) und ihrem sozialdemokratischen Klimakommissar Frans Timmermans peilt das Aus für Benzin- und Dieselmotoren zwar erst für 2035 an. Doch schon bis 2030 soll der CO2-Ausstoß in allen Bereichen um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Bis 2050 soll die EU „klimaneutral“ sein – die Grünen wollen „Deutschland in 20 Jahren klimaneutral“ machen. Dieses „wundersame Versprechen Klimaneutralität“ geißelt der linke Politologe Guido Speckmann als „Chimäre“ (JF 15/21).

Birgit Mahnkopf, Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, sieht darin eine „Verdummungsmetapher“. Der „European Green Deal“ wird von der Grande Dame der Globalisierungskritik als „Nebelkerze“ verhöhnt (Blätter für deutsche und internationale Politik 6/21). Der Sirenengesang von der Klimaneutralität verheiße eine gigantische Reduktion von CO2-Eintragungen in die Erdatmosphäre. Wer dagegen auf die komplexen Zusammenhänge hinweise, die allein durch Drosselung der CO2-Emissionen nicht in die Balance zu bringen seien, werde als „Klimaleugner“ und Störenfried im „grünen Konsens“ denunziert.

Der provokanteste Grundwiderspruch ergebe sich jedoch aus dem Narrativ, daß „grünes Wachstum“ mit einer Kombination aus intelligenter Makroökonomik, Technologiefortschritt und Marktmechanismen zu erzielen sei. Ein solches „unendliches Wachstum“, so unterstellen grüne „Denkfabriken“, erhalte in Zukunft den kapitalistischen Kreislauf von Profit und Rendite, der Mehrung privaten Eigentums, der Schaffung von Arbeitsplätzen und Lohneinkommen – damit der unablässig anschwellende Warenstrom auch konsumiert werden könne.

Die Grünen versprechen für ihre „sozialökologische Transformation“ künftig „neue Geschäftsfelder, neue Industriezweige, neue Arbeitsplätze“, doch diese Aussicht beruhe auf der „nahezu abstrusen Annahme, daß im ‘grünen Kapitalismus’ expansives ökonomisches Handeln nicht nur niedrigere CO2-Emissionen nach sich ziehen, sondern zugleich eine ‘Entmaterialisierung der Produktion’ in Gang setzen werde. So als ließen sich – mit physikalischen Gesetzen wenig vereinbar – Brücken mit deutlich weniger oder gar keinem Zement und Stahl bauen“.

Die „digitale Ökonomie“ funktioniere wie ein Perpetuum mobile, allein auf der Basis von frei verfügbaren Informationen, ohne Energiezufuhr und ihre stofflichen Komponenten. Der Green Deal sei eine „große Mogelpackung“, darin gehe es hauptsächlich um die Synthese von grüner Umwelt- und neoliberaler Wirtschaftspolitik: Wachstum durch „grüne Investitionen“ in den Ausbau erneuerbarer Energie. Daß der CO2-Ausstoß seit 1990 um 24 Prozent gesunken ist, dürfte eher dem „größten Deindustrialisierungsprogramm des 20.Jahrhunderts“ zu verdanken sein: der Abwicklung der Kombinate des Ostblocks.

Entladen sich die Widersprüche in Aufständen und Kriegen?

Die erneuerbaren Energien würden vom gestiegenen Stromverbrauch fast aufgezehrt. Dies dürfte sich in potenzierter Form beim Projekt „Klimaneutralität“ wiederholen. Es sei denn, man verzichte auf „grünes Wachstum“, denn sonst sei es unseriös, den Bürgern vorzugaukeln, binnen drei Jahrzehnten die CO2-Emissionen in der EU um 75 Prozent drücken zu können – bei gleichzeitig zunehmendem Energiehunger der grünen „Transformation“. Nach Szenarien der Internationalen Energieagentur (IEA) müßte der „erneuerbare“ Anteil an der Stromversorgung bis 2030 von 27 auf 60 Prozent, der dafür erforderliche Investitionsbedarf von 760 auf 2.200 Milliarden Dollar steigen.

2030 müßte die Hälfte aller Industriebetriebe ihre Wärme aus Elektrizität beziehen. Das ist vor allem in den Branchen Chemie, Stahl und Zement, wo man bis 2050 mit einer Verdreifachung der Nachfrage rechnet, „schlichtweg unmöglich“. In zehn Jahren soll die Hälfte aller Autos mit E-Antrieb laufen, 2050 sollen es alle sein. Abgesehen von der ungelösten Frage der Entsorgung von Hunderten Millionen Gebrauchtwagen scheint es „Elektromobilitätsenthusiasten“ nicht zu kümmern, daß sich dafür die weltweite Produktion von Lithium-Batterien alle zwei Jahre verdoppeln müßte.

Und was sei mit dem umweltschädlichen Abbau mineralischer Rohstoffe, unter denen einige nicht zufällig Seltene Erden heißen? Sie kämen in relevanter Konzentration nur in einer Handvoll Länder vor, so daß eine anziehende Nachfrage zu Preisexplosionen führen würde. Und diese Rohstoffe seien nicht nur für E-Autos und Windräder unverzichtbar, sondern für alle „Zukunftstechnologien“, mit deren Hilfe Klimaneutralität angestrebt werde.

Für zivile Zwecke dürfte von diesen „critical raw materials“ aber nur übrig bleiben, was Sicherheitsapparate und Militär nicht beanspruchen. Doch trotz all dieser Widersprüche werde der „grüne Kapitalismus“ noch einige Zeit als Beruhigungsmittel wirken und vielen Wählern suggerieren, das „Weltsystem Kapitalismus“ ließe sich ökologisch verjüngen. Erst wenn die Widersprüche sich in Aufständen und Kriegen entladen, schlägt für Mahnkopf die Stunde des „radikalen Wandels“. Dann sind aber „weniger Autos in der Stadt“, „leisere Straßen“  und „Rufbusse oder Carsharing“, die das Pendeln erleichtern und „ein gutes Leben auf dem Land“ befördern, wie die Grünen vorschwärmen, sicherlich das geringste Problem.

 www.gruene.de

 ipe-berlin.org

 www.blaetter.de