© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/21 / 06. August 2021

Der Flaneur
Alle sind so freundlich
Paul Leonhard

So viel Freundlichkeit an diesem Sonntagmorgen. Und so viel Sicherheit. Gerade bin ich abgetastet worden. „Das in der Seitentasche ist sicher ein Schlüssel?“ fragt der Mann in der Uniform eines privaten Sicherheitsdienstes höflich. Ich nicke und beeile mich, den Bund aus der Tasche zu ziehen und ihm zu zeigen. Ja, er hat recht. Ein echter Profi. Und natürlich darf er den gewünschten Blick in meinen Stadtrucksack werfen, nachdem ich seine Frage nach Glasflaschen verneint habe. 

Trotzdem bleibt er mißtrauisch. Fotografieren sei hier aber verboten, werde ich belehrt, als er die Kamera entdeckt. Ich nicke erneut und werde von ihm, dessen Augen noch einmal freundlich über mich gleiten, zur nächsten Station geschickt.

Ich nicke und bekomme einen Stempel in meinen seit 20 Jahren nicht mehr benutzten gelben Paß.

Alles ist durchorganisiert, mit echter deutscher Gründlichkeit. Ich stehe mit anderen in einer langen Reihe, einem Schlangenkörper gleich. Wie bei der Handgepäckkontrolle internationaler Flughäfen begegnet man den anderen Wartenden immer wieder. Wie üblich werde ich ausgerechnet dem Schalter zugewiesen, an dem die Kontrolle am langsamsten vor sich geht. 

Eine junge Frau blättert die von mir vorgelegten Papiere. Alles in Ordnung. Ein noch jüngerer Mann weist mich ein. Bis zu einem weißen Band soll ich gehen. Ich sehe aber keins und setze mich einfach auf einen freien Stuhl. Prompt werde ich zurückgeschickt. Das weiße Band entpuppt sich als ein von vielen Schuhen grau gewordener Aufkleber auf dem Boden.

Eine blondierte schmale Frau mit leichtem Silberblick stellt sich mir als Ärztin vor. Sie spricht ein gebrochenes Deutsch mit slawischem Akzent, das ich kaum verstehe. Ich nicke einfach ergeben und bekomme einen Stempel in meinen seit einer Reise durch Westafrika vor 20 Jahren unbenutzten Impfpaß. 

Fachärztin für Plastische Chirurgie, entziffere ich zurück auf dem Gang. 20 Schritte weiter jagt mir eine robuste Frau eine Nadel in den Arm, was ich gar nicht spüre. Dafür spult mein Gedächtnis den abgespeicherten vorwurfsvollen Satz einer Freundin vor, ich wolle doch nicht etwa Teil dieses weltweiten Gentests werden. 

Doch. Denn ich bin flugsüchtig, will endlich wieder reisen, raus aus diesem Land. Die Schmerzen am Arm kommen erst später.