© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Durchsichtiges Manöver
Das grüne Klima-Sofort-Programm ist jetzt schon überkommen
Antje Hermenau

Es war wenig überraschend. Annalena Baerbock, die von den Grünen gewählte Kanzlerkandidatin, und Robert Habeck, deren Spitzenkandidat der Herzen, verkündeten ein „Klimaschutz-Sofortprogramm für die nächste Bundesregierung“. 

Die erste gravierende politische Erkenntnis aus dem Programm lautet: weil die konkreten Vorstellungen der Grünen zum Umgang mit dem Klimawandel keine politische Mehrheit finden, wollen sie als Petrus Stellvertreter auf Erden allein bestimmen, was Gut und was Böse ist: mit einem neuen Klima-Superministerium samt Vetorecht. Das solle alle anderen Ressorts blockieren dürfen. 

Vorhaben, die nicht „Paris-kompatibel“, also mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar, seien, soll es stoppen können. Baerbock verklärt es politisch: „Wir wollen den Abstimmungsprozeß zwischen den Ministerien verschlanken. (...) Wir haben keine Zeit mehr.“ Also muß eine Klima-Task-Force her, die in den ersten 100 Tagen einer grünen Mitregierung wöchentlich tagt. Wenn die Grünen erst einmal alles und jeden umsichtig darauf abklopfen wollen, ob es etwas mit dem Klima zu tun hat oder zu tun haben könnte, dann vergehen Äonen.

Und Habeck ergänzt: „Aber in Wahrheit ist es die Ambition, die Richtlinienkompetenz in Deutschland neu zu eichen.“ Das ist aber nicht praktikabel und in dieser Form schlicht verfassungswidrig. Mehrere ausgewiesene Experten im Verfassungsrecht haben das bereits dargelegt: Christian Pestalozza, Hanno Kube, Christoph Möllers oder Ulrich Battis. Es ist formaljuristisch nach geltender Verfassungslage nicht möglich, die anderen Kabinettsmitglieder in deren Ressortzuständigkeit zu übertrumpfen.

Was soll das Ganze also? Soll es von der Person Annalena Baerbock ablenken, die mit ihrem zusammenkopierten Buch und ihrem stark aufgehübschten Lebenslauf viel im negativen Scheinwerferlicht der Presse stand? Sicherlich auch. Soll es die Macht der Grünen demonstrieren? Natürlich! Grün muß mindestens Nebenkanzler und wichtiger als der Finanzminister sein. Die Kanzlerkandidatur wurde in den Sand gesetzt. Nun geht es darum, den zweiten Platz zu sichern und vorab zu einer Quasi-Kanzlerstelle auszubauen. Schließlich wissen nur die Grünen, was richtig für den Klimaschutz ist. Sie sind die einzigen, die Deutschland – nein eigentlich die Welt retten können. Was für eine spektakuläre Selbstüberhöhung, die auch noch altruistisch daherkommt. Soll es auch die Republik verändern? Ja, gewiß. Und das wird es auch – eher noch als das Klima! 

Die zweite gravierende Erkenntnis aus dem Klimaprogramm: Deutschland wird energiepolitisch durch die Grünen weiter isoliert. Schöngeredet wird das mit der berühmten „Vorreiterrolle“, die allerdings kaum ein Land weltweit zum Anlaß nimmt, um sich ebenfalls wirtschaftlich todesmutig in die höchsten Energiepreise zu stürzen und einen ständig drohenden Absturz der Netze zu riskieren. Mehr noch: die Grünen wollen nur grünen Wasserstoff als klimafreundlich gelten lassen. 

Wenn man allerdings CO2 als Klimakiller identifiziert hat, müßte es doch das dringlichste Anliegen von allen sein, eben auch das Kohlendioxid aus dem Erdgas abzuscheiden (CCS). Grüner Wasserstoff indes wird seine Zeit brauchen: Elektrolyse kann man bereits; bei Speicherung und Transport gibt es noch viel zu entwickeln. Und die Netze müssen das Ganze auch verkraften können. So steht auch die Frage, was der nationale Mindestpreis von 60 Euro je Tonne CO2 soll. Das ist wieder eine politische Unwucht und ein nationaler Alleingang. Deutschland allein kann hier nichts Wesentliches bewirken.

Die Wirtschaft erwartet zu Recht ein langfristiges, verläßliches Szenario bei der Energiewende. Sie erwartet auch, daß technologie-offen vorgegangen wird, um durch Wettbewerb schnell zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen. 

Habeck hat tagelang von einer sehr hohen Dringlichkeit geredet, die über allem stünde. Auch das IPCC hat es gerade wieder bekräftigt: Erneuerbare Energien, Atomkraft und CO2-Speicherung – das sind die drei wesentlichen globalen Komponenten, um das Zwei-Grad-Ziel hoffnungsvoll ansteuern zu können. Leider fehlen zwei davon im eilig herbeigezauberten Klimaschutz-Sofort-Programm.

Die dritte gravierende politische Erkenntnis: Die Grünen kommen von der Palme, auf die sie kletterten, nicht wieder runter. Sie müssen Radikalität in der Klimafrage mimen: die Geister, die sie mit „Fridays for Future“ (FFF) und deren Frontfrau Luisa Neubauer (Grüne) riefen, werden sie nun nicht mehr los. Die radikalisierten Umweltschützer wollen jetzt alles und zwar sofort! Egal, was es kostet. Die Milliardenbeträge, die dafür gefordert werden, sind atemberaubend, wenn man staatliche Aufgaben wie die Sicherung von Infrastruktur, Schulwesen und Verteidigung nicht zur Randnotiz verkommen lassen will. Zum bereits existierenden Schuldenberg schweigt die Klima-Partei vornehm.

Derweil wird Druck auf den Wähler aufgebaut, indem FFF-Mädchen Carla Reemtsma im ZDF klarmacht: „Keines der Wahlprogramme der etablierten Parteien reicht aus, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. (... ) Es braucht die Massenproteste auf der Straße. Das werden wir in den kommenden Wochen tun.“ 

Das Klimaschutz-Sofort-Programm war dann inhaltlich wirklich nicht überraschend – denn angeboten wird ein Sammelsurium altbekannter und lang diskutierter Einzelregelungen, mit großem bürokratischem Drumherum, das an das Klimaschutzprogramm von 2019 erinnert. Neuerungen sind kaum möglich. Innovationssprünge werden offenbar nicht erwartet. Es wäre anspruchsvoll gewesen, wären die Grünen darauf eingegangen, daß es viele neue Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten etwa im Bereich Kernenergie gab. Deutschland hingegen agiert mit seinem Atomausstieg isolationistisch – nicht nur in Europa. Dabei hat die Zukunft von Kernreaktoren, die Brennstoffe effizienter nutzen, sie gar selbst produzieren oder jetzigen Atommüll verwerten und strengen Sicherheitsauflagen unterliegen, gerade erst begonnen – weltweit.






Antje Hermenau war Grünen-Bundestagsabgeordnete und ist Beauftragte für Sachsen des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft.