© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Von Franco lernen
Grüne: Einwanderung soll nicht länger Sache der Innenminister sein. Das wird in der Realität fatale Folgen haben
Christian Vollradt

Die Idee an sich ist zwar nicht neu, sie bietet allerdings wieder Stoff für politische Aufregung: Ihre Partei wolle im Falle des Wahlerfolgs ein neues Ministerium für Einwanderung schaffen, äußerte die grüne Spitzen- und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in einem Video, das jüngst auf der Internetseite der Türkischen Gemeinde in Deutschland veröffentlicht wurde. So etwas hatten die Grünen bereits 2016 gefordert. Aber nun unterstrich Baerbock erneut, daß ihrer Ansicht nach die Einwanderungspolitik „aus dem Innenministerium herausgelöst werden“ müsse.

Entscheidend sei, Einwanderung nicht mehr als ein Sicherheitsthema zu betrachten, sondern „als Thema der Gleichstellung und Teilhabe“. Es müsse „die Vielfaltspolitik, die Teilhabepolitik in den Mittelpunkt eines gebündelten Ministeriums gestellt werden“, sagte Baerbock im Einklang mit dem grünen Wahlprogramm. Erfunden haben das nicht die Grünen. Sie übernehmen die Thesen der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen, die schon länger ein „progressives Ministerium für die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft“ fordert.  Migration dürfe nicht länger als Bedrohung und Regulierungsproblem betrachtet werden. Deshalb müsse die Migrationspolitik vom Bundesinnenministerium „als dem Sicherheitsressort abgekoppelt werden“, heißt es auf ihrer Internetseite.

Dieser Grundgedanke, den die Grünen in ihr Wahlprogramm übernommen haben, steht im diametralen Gegensatz zur Position, die der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Hans-Eckhard Sommer, vertritt. Der Horst Seehofers (CSU) Bundesinnenministerium unterstellte Behördenleiter hatte im Frühjahr 2018, als er noch nicht das Bamf führte, sondern im bayerischen Innenministerium für Auslanderrecht zuständig war, als Sachverständiger im Bundestag deutlich gemacht, daß das Ausländerrecht ein Sicherheitsgesetz sei (JF 18/18). „Dies ist in manchen Ländern aus dem Blick geraten, die es zu einem Integrations- oder Willkommensgesetz umgedeutet hätten“, kritisierte er. Deswegen sollten laut Sommer auch in den Bundesländern die Innen- und nicht die Familienministerien dafür zuständig bleiben. Sein Plädoyer mündete in der Feststellung: „Die früher übliche Bezeichnung Ausländerpolizei ist durchaus sinnvoll.“

Daß die Einschätzungen des Chefs der für die praktische Umsetzung von Deutschlands Einwanderungspolitik zuständigen Behörde nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt nicht zuletzt ein Prozeß, der vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main dieser Tage nach einer Sommerpause fortgesetzt wird – der gegen den früheren Bundeswehroffizier Franco A. Zwar steht im Fokus des öffentlichen und medialen Interesses die Frage, ob der ehemalige Oberleutnant eine schwere staatsgefährdende Straftat, möglicherweise Attentate auf Politiker geplant und vorbereitet habe. 

Doch daneben brachten die Ermittlungen gegen den 32jährigen auch erhebliche Mißstände bei der Erstaufnahme von Asylantragstellern ans Licht. Wie mehrfach berichtet, war es A. gelungen, 2016 unter einer Legende als vermeintlicher syrischer Flüchtling „David Benjamin“ im deutschen Asylsystem aufgenommen zu werden. 

Bei „schnell“ vor „gründlich“ leidet die Sicherheit

Geleitet wurde das Bamf seinerzeit von Frank-Jürgen Weise, der zugleich Chef der Bundesagentur für Arbeit war. Weise, studierter Ökonom und langjährig als Controller in der Wirtschaft beschäftigt, hatte die Nürnberger Behörde – auf dem Höhepunkt der Asyl-Krise und des Zustroms von Immigranten über die Balkan-Route – auf Effizienz getrimmt. Das bedeutete in der Praxis: Schnelligkeit vor Gründlichkeit. Zudem wurde die von der Antragsflut überrollte Behörde mit im Hauruck-Verfahren mehr – oder eher weniger –  geschulten Aushilfskräften aufgefüllt. 

So kam es zu der kuriosen Situation, daß am 7. November 2016 in der Bamf-Außenstelle Zirndorf bei Nürnberg von 13 Uhr 40 bis 15 Uhr ein im Rahmen der Amtshilfe eingesetzter Feldwebeldienstgrad einen vermeintlichen Syrer und tatsächlichen Kameraden im Range eines Oberleutnants nach Herkunft und Fluchtgründen befragte. In seiner Anhörung behauptete „David Benjamin“, 1988 geboren, Syrer, Christ und gelernter Landwirt zu sein. Er werde wegen seines Glaubens verfolgt. „Mein Name klingt für viele in meinem Heimatland jüdisch, da mein Großvater jüdische Wurzeln hatte. Durch meine christliche Religion werde ich durch den IS verfolgt.“ Und weiter: „Eines Nachts kam der IS und überfiel unsere Familie. Der ganze Bauernhof wurde durch Granaten zerstört und mein Vater erschossen.“  

Mehrfach, so die Meinung in Kreisen erfahrener Beamten des Bamf, hätte der Befrager hier nachhaken müssen, anstatt den standardisierten Katalog einfach herunterzuleiern. Und auch der Entscheider, der dem falschen Syrer A. auf der Basis des Protokolls einen Schutzstatus erteilte, hätte mehrere Widersprüche feststellen können. So war der IS nie in „Benjamins“ angeblichem Herkunftsort Tel Al Hassel. Widersprüchlich auch, daß A. angab, nie von der syrischen Regierung drangsaliert, anderseits aber wegen seiner jüdischen Wurzeln nie akzeptiert und als Christ verfolgt worden zu sein. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß der angebliche Syrer mit französischen Wurzeln kein Wort Arabisch sprach. Ein Hinweis an die Sicherheitsabteilung des Bamf wäre hier das mindeste gewesen, da auch ausländische Nachrichtendienste über das Asylverfahren nach Deutschland einsickern können.

Bereits im Mai 2017 war die an der Anhörung des vermeintlichen syrischen Flüchtlings beteiligte Sprachmittlerin von Beamten der Referate 112 (Personalbetreuung) und 232 (Qualitätssicherung Asyl) des Bamf befragt worden. Diese sogenannte „Sachverhaltsaufkläung“ wurde anschließend auch der Generalstaatsanwaltschaft für die Ermittlungen im Fall Franco A. übermittelt. Das Protokoll liegt der JUNGEN FREIHEIT vor. Darin heißt es unter anderem, die Dolmetscherin für Arabisch und Französisch – eine Deutsche marokkanischer Herkunft – habe sich über die fehlenden Arabischkenntnisse des Antragstellers gewundert. Ihre Zweifel an der syrischen Herkunft des „Benjamin“ habe sie während und nach der Anhörung jedoch nicht geäußert. Schließlich habe sie sich als Sprachmittlerin neutral verhalten. 

Erschwerend kommt noch hinzu: Hätte der Entscheider die Ereignisse der Befragung „Benjamins“ durch seinen Kollegen ernst genommen, hätte er dem angeblichen Syrer – ein Christ mit jüdischen Wurzeln und Opfer eines IS-Angriffs – einen höheren Schutzstatus einräumen müssen. Wie aus der Nürnberger Behörde zu hören ist, hat der Wechsel vom Ökonomen Weise zum Juristen Sommer solch gravierende Mängel zumindest sehr viel unwahrscheinlicher gemacht. Das Bamf, so ein Beamter, verstehe sich an der Spitze wieder als Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur. 

Ob es dabei bleibt oder ob es stattdessen um „Vielfalt“ und „Teilhabepolitik“ geht, darüber können die Wähler auch bei der Bundestagswahl am 26. September entscheiden.