© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Kulturkampf mit dem Kochlöffel
Muezzin: Während der Corona-Pandemie darf in Herford öffentlich zum Gebet gerufen werden. Dagegen gibt es Proteste. Ein Prozeß ist vertagt
Hermann Rössler

Freitag nachmittag in Herford: Der Muezzin ruft mit dem Adhān, einem islamischen Gesang, die moslemischen Bewohner der nord-rheinwestfälischen Kleinstadt zum rituellen Gebet auf. „Allahu akbar“ – Gott ist am größten – beginnt und endet der Aufruf. Auf der gegenüberliegenden Seite der Ditib-Moschee in der Bielefelder Straße schlägt ein Mann mit einem Kochlöffel gegen einen Topf, wahlweise auch mit einer Kuhglocke. Er ruft Sätze wie: „Wir werden uns niemals der Sunna beugen.“ Oder: „Nein zur Scharia, nein zum Kalifat.“ Der Mann mit Glatze und Backenbart heißt Marcel Bauersfeld.

Seit Beginn der Corona-Pandemie ist der Adhān in mehreren deutschen Städten zu hören – unter anderem in Bremen, Krefeld und München. Andere Städte gestatteten den Ruf nur zeitweise oder lehnten Gesuche der Art schlichtweg ab. Moslemische Gemeinden begründeten ihr Begehren zumeist mit den pandemiebedingten Einschränkungen, die ein gemeinsames Fastenbrechen am Ende des Ramadan verunmöglichten. Einige Städte erteilten nach dem Ende des ersten Lockdowns eine weitergehende Erlaubnis oder hatten die Genehmigung ohnehin bis auf weiteres verfügt. So auch in Herford. Bürgermeister Tim Kähler hatte im Juni 2020 dem Türkischen Gemeindezentrum in Herford im Alleingang die Genehmigung dazu erteilt. Die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit decke den Entschluß, teilte die Stadt mit.

„Aus der Türkei geflüchtet,um diesen Ruf nicht mehr zu hören“

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat Anklage in drei Punkten gegen Protestierer Bauersfeld erhoben: Volksverhetzung, Störung der Religionsausübung in fünf Fällen und Widerstand gegen Polizisten in zwei Fällen. Zwei weitere Demonstranten sind wegen der ersten beiden Vorwürfe ebenfalls angeklagt. Der ursprünglich kommenden Mittwoch im Amtsgericht Herford angesetzte Termin wurde nun verschoben, weil ein anderer Richter den Fall übernimmt. Ein neues Datum für die Verhandlung stehe noch nicht fest, teilte das Amtsgericht der JUNGEN FREIHEIT mit. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Claudia Bosse, erläuterte gegenüber dem Westfalen-Blatt: „Die Anklage geht davon aus, daß er (Bauersfeld) mit seinem Verhalten bewußt die religiöse Andacht stören wollte. Dabei ist es ihm darauf angekommen, andere Bürger, die seine Einstellungen teilten, zu ähnlich feindseligen Taten gegen die versammelten Muslime zu veranlassen.“ Bauersfeld selbst streitet das ab. Er habe lediglich Gebrauch von seinem Recht auf Meinungsäußerung gemacht, sagte er dem Blatt. Er wolle „hier keine Scharia haben.“

Um Bauersfeld sammelten sich zwischenzeitlich mal einer, mal drei bis vier Verbündete. Begleitet von Posaune und Gitarre sangen die Herforder beispielsweise Martin Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“. Einer der Demonstranten, der AfD-Kreistagsabgeordnete Roland Sprenger, sagte der jungen freiheit, er fühle sich „von meiner Heimat entfremdet, von meinen Wurzeln abgetrennt“. Etwas dagegen zu unternehmen, halte er für seine Pflicht. „Beziehungsweise halte ich es für unehrenhaft, das nicht zu tun.“ Sprenger gründete deshalb vergangenen August auch die „Bürgerinitiative gegen den Muezzin-Ruf in Herford“. Für eine Online-Petition hatte Sprnger eigenen Angaben zufolge über 14.000 Unterschriften gegen den Muezzin-Ruf gesammelt.       

Den kritisierte auch der Vorsitzende des Herforder Integrationsrats, Dogan Karacan, der der ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden angehört. Er hätte gern gesehen, daß sein Gremium in die Entscheidung mit eingebunden worden wäre, sagte er dem Westfalen-Blatt. „Wir sind aus der Türkei geflüchtet, um diesen Ruf nicht mehr hören zu müssen. Jetzt erschallt er plötzlich hier in Herford?“ 

Eine Anfrage der jungen freiheit, wie die Moschee-Gemeinde zu den Demonstranten steht und ob es eine Kontaktaufnahme gegeben habe, ließ der Trägerverein bis Redaktionsschluß unbeantwortet. Die Ditib-Moschee war 2018 in die Schlagzeilen geraten, nachdem Videos auftauchten, in denen Kinder zu sehen waren, die in Militäruniformen eine Schlacht aus dem Ersten Weltkrieg nachspielten. Der Vorstand gab damals an, von dem Schauspiel nicht unterrichtet worden zu sein und distanzierte sich.