© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Ländersache: Berlin
Dit juckt hier keenen
Ronald Berthold

Die berühmte Berliner Luft wird bleihaltiger. Mitten auf dem belebten Parkplatz eines Baumarktes in Reinickendorf flogen vergangene Woche die Pistolenkugeln tief. Abgefeuert hatten sie arabische Clan-Mitglieder. Wer da nun wen bekriegte, weiß die Polizei noch nicht so genau. Entweder es stritten sich verschiedene Zweige einer Großfamilie oder es handelte sich um die Auseinandersetzung zweier verschiedener Sippen.

Wie auch immer, es ist nicht das erste Feuergefecht, das sich dieses Milieu liefert. Mal wird aus fahrenden Autos aufeinander geballert, mal auf Gäste in einer Shisha-Bar, mal unter Fußgängern wie in einem Westernstädtchen und nun eben auf dem Parkplatz.

Es war auch wieder ein „Friedensrichter“ vor Ort, der üblicherweise unter Ausschluß der deutschen Justiz die Konfliktparteien an einen Tisch bringen und schlichten soll. Die Polizei griff den Vorbestraften in der Nähe des Tatortes auf. Er gilt als Zeuge. Ob er redet, scheint nach ähnlichen Erfahrungen eher zweifelhaft. Gegen Schweigegelübde und Loyalität zu den Clans kommen die Ermittler nicht an. 

In diesem Fall wird über die Familien Al-Zein und Remmo als Beteiligte spekuliert. Mit denen legt sich niemand freiwillig an. Auch Richter nicht, die Beschuldigte immer wieder freisprechen, bevor sie sich Lebensgefahr aussetzen. Drohungen und Hausbesuche sind übliche Methoden, um sich das Gesetz vom Hals zu halten.

Berlin nimmt von all dem eher gleichgültig Notiz. Selbst der Rot-Grün nahestehende Tagesspiegel zitierte einen Szenekenner aus der Polizei, der sich beklagte, mitten in der Stadt werde an einem belebten Ort geschossen, „es folgt aber wieder kein öffentlicher Aufschrei, sondern routinierte Zurkenntnisnahme“. So ist das in der Hauptstadt des Verbrechens.

Diesmal, unweit des belebten Kurt-Schumacher-Platzes, soll es um Schutzgelderpressung gegangen sein. Irgendein Libanese schuldete dem anderen mehr oder weniger viele Euros. In dieser Szene klärt man so etwas unter sich. Zunächst kamen Messer zum Einsatz. Ein Mann erlitt mehrere Stiche, ein weiterer einen Knochenbruch. Als all das offenbar nicht fruchtete, kramte ein Familienmitglied die Schußwaffe aus seinem Handschuhfach und feuerte. Der mehrfach Getroffene überlebte. 

Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis Unbeteiligte niedergemäht werden. Bei seinen illegalen Autorennen auf dem Kurfürstendamm hat es das Milieu bereits geschafft, Passanten zu töten. Was waren das noch für Zeiten, als 1970 wochenlang die Zeitungen voll waren mit einer Schießerei zwischen der Speer-Bande und persischen Gangstern, die sich in der Nähe des Kudamms, in der Bleibtreustraße, ein Feuergefecht um die Vorherrschaft im Rotlichtviertel lieferten. Die Berliner sprechen seitdem mit ihrem Mutterwitz von der „Bleistreustraße“. 

Daß es heute keine solche Umtaufungen gibt, liegt daran, daß inzwischen in zu vielen Straßen der Hauptstadt das Blei tief fliegt. Und an der Gleichgültigkeit.