© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Die Fehler der anderen
Kampagne I: Die Sozialdemokraten wittern Morgenluft – und schlagen unter die Gürtellinie
Jörg Kürschner

Während SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz seine persönlichen Kompetenzwerte zu Beginn der heißen Wahlkampfphase weiter steigert, diskreditiert seine Partei dessen Kampagne durch einen Tabubruch. In einem Werbespot warnt die SPD vor einem „erzkatholischen Laschet-Vertrauten“, während das Nachbarland Frankreich die Hinrichtung eines katholischen Priesters mutmaßlich durch einen Flüchtling betrauert. Partei-Generalsekretär Lars Klingbeil hatte noch im April gelobt, auf persönliche und diffamierende Attacken verzichten zu wollen.

Doch davon kann vier Monate später keine Rede mehr sein.  Wer CDU wähle, wähle „erzkatholische Laschet-Vertraute, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist“, heißt es in dem SPD-Video, in dem eine Matroschka-Puppe mit dem Konterfei von Nathanael Liminski auftaucht. Der 36jährige ist seit 2017 Leiter der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei des Düsseldorfer Ministerpräsidenten Armin Laschet. Dessen rechte Hand hatte sich 2007 entsprechend geäußert und als persönliche Entscheidung bezeichnet. Die Bundes-CDU reagierte moderat. Generalsekretär Paul Ziemiak forderte den Noch-Koalitionspartner SPD auf, den Film zurückzuziehen. Spitzenkandidat Scholz müsse erklären, „ob er weiterhin die Religionszugehörigkeit, die Zugehörigkeit zum katholischen Glauben mißbrauchen will für eine Kampagne im Wahlkampf“. Auf Distanz zur SPD gingen die Grünen, die Deutsche Bischofskonferenz sprach von einem „unangemessenen“ Verhalten.

Parteienforscher wie der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun sehen in dem Video einen Fall des „negative campaigning“, da religiöse Überzeugungen zum Angriffspunkt gemacht werden. Ziemiak kündigte nach der Präsidiumssitzung eine härtere Gangart im Wahlkampf an. Da die Bundestagswahl „eine Richtungswahl“ sei, werde man jetzt „eine Richtungsdebatte führen“. 

Hintergrund sind die katastrophalen persönlichen Umfrageergebnisse für Laschet. Der CDU-Kanzlerkandidat käme nach der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa bei einer Direktwahl nur auf 14 Prozent. Für Annalena Baerbock von den Grünen würden 13 Prozent der Wähler stimmen, SPD-Mann Scholz würden 27 Prozent zum Kanzler wählen. 36 Prozent gaben allerdings an, in einer Direktwahl niemanden dieser drei wählen zu wollen.

Kein Grund zur Sorge für die Union, könnte man meinen, da Kanzler nicht direkt gewählt werden. Doch aufgeschreckt sind die Unionsparteien durch ihre fallenden Partei-Umfrageergebnisse. 25,5 Prozent sind es laut Insa noch, die SPD liegt mit 17,5 Prozent gleichauf mit den Grünen. FDP 12,5, AfD 11,5, die Linke kommt auf 6,5 Prozent. Danach könnten SPD, Grüne und FDP eine Koalition bilden, CDU und CSU fänden sich auf den harten Oppositionsbänken wieder. Angesichts parteiinterner Kritik an Laschet warnte der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer bereits: „Die Demontage von Armin Laschet bringt uns nicht weiter, sondern kann uns den Sieg kosten“. Inhalte sollen die Union wieder in die Offensive bringen, kündigte Ziemiak an. Laschet-Widersacher Markus Söder hatte den CDU-Kanzlerkandidaten vor „Zufallsmehrheiten“ gewarnt. Mit dem „Schlafwagen“ komme man nicht ins Kanzleramt. 

Grüne stufen das Ziel Kanzleramt zum Symbol herab

Das wissen auch die Grünen, die zu Wochenbeginn mit einem gemeinsamen Auftritt der Kandidatin Baerbock und Co-Parteichef Robert Habeck die zahlreichen Pannen, darunter die Nichtzulassung der Grünen-Landesliste im Saarland, hinter sich lassen wollen. In Hildesheim fiel auf, daß viel vom Klimaschutz und wenig von der Kanzlerkandidatur die Rede war. Das Kanzleramt hatte der Mann hinter Baerbock zuvor zum „Symbol“ herabgestuft.  Der Anspruch bleibe, doch gehe es vor allem darum, in die nächste Regierung zu kommen. Fragen nach einem Wechsel des Kanzlerkandidaten bescheidet Habeck stets negativ, ungeachtet seiner klar besseren Umfrageergebnisse. Eine Diskussion, die auch die Unionsparteien intern umtreibt. Stichwort Schlafwagen. 

Die AfD hatte den Wahlkampf am vergangenen Dienstag mit den beiden Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla in Schwerin eröffnet, da am 26. September auch der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern neu bestimmt wird. Der Umgang mit Nicht-Geimpften und die Flüchtlingspolitik werden im Vordergrund der Kampagne stehen. Deutschland sei zu einem „Hippiestaat“ geworden, „in dem die Polizei die Augen zumacht“ und in dem es rechtsfreie Räume gebe, kritisierte Weidel. 

Fotos: Kandidat Scholz im Aufwind: SPD beteuert, auf diffamierende Attacken zu verzichten; Laschet im Regen: Demontage kostet Sieg