© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Erst nein, dann ja
Christian Vollradt

Nun also doch. Voraussichtlich in der übernächsten Woche soll der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um Hilfen für den Wiederaufbau der vom Hochwasser verwüsteten Gebiete zu beschließen. Darauf hätten sich die Fraktionen der Großen Koalition geeinigt, hieß es am Dienstag. Zunächst hatten sich Union und SPD ablehnend zu der Idee geäußert, die Abgeordneten dafür aus den Ferien – und dem Wahlkampf – zurück nach Berlin zu holen.

„Die von der Katastrophe betroffenen Menschen brauchen nach den Soforthilfen nun weitere Unterstützung und Planungssicherheit. Daher sind schnelles Handeln und Entscheidungen des Bundestags unverzichtbar“, mahnte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann daraufhin an. Ihren FDP-Kollegen Marco Buschmann ärgerte, daß Union und SPD sich nicht schon auf eine Sondersitzung des Bundestags in der nächsten Woche festlegen wollten. „Die GroKo ist mal wieder zu langsam und zu untätig“, wetterte der liberale Parlamentarische Geschäftsführer. Dann hatten sich vergangene Woche die Fraktionen von FDP, Grünen und SPD darauf verständigt, die Sitzung zu beantragen. Gemeinsam verfügen sie über 299 Mandate; das für solch eine Sondersitzung nötige Quorum von einem Drittel aller Abgeordneten, also 237, würden sie erreichen.

Indes hatte schon am 19. Juli, unmittelbar nachdem die vom Starkregen in reißende Ströme verwandelten Bäche ganze Ortschaften überflutet, Häuser zerstört und Menschen in den Tod gerissen hatten, die AfD-Fraktion beim Bundestagspräsidenten eine „zeitnahe Sondersitzung“ im Reichstag beantragt, um eine „erste Klärung der Geschehnisse herbeizuführen“.

Doch Wolfgang Schäuble (CDU) beschied das Anliegen abschlägig – unter Verweis auf das nötige, doch nicht erreichte Quorum an Unterstützern. Wörtlich heißt es in seinem Antwortschreiben vom 26. Juli: „Der Antrag Ihrer Fraktion wird von den übrigen Fraktionen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht unterstützt.“ Die Mehrheit des Hauses sehe „momentan nicht die Notwendigkeit für eine Sondersitzung des Plenums“.

Zwei Wochen später schrieb dann die FDP an alle Fraktionen – außer die AfD – und regte nun selbst an, was sie eben noch abgelehnt hatte: die Einberufung des gesamten Bundestags zu einer Sondersitzung. Das hält man in der AfD für heuchlerisch gegenüber den Betroffenen. „Dieses Verhalten – unserem Antrag nur deshalb nicht zuzustimmen, weil er von der AfD kommt – zeigt einmal mehr, daß den anderen Fraktionen die Ausgrenzung der größten Oppositionsfraktion wichtiger ist, als ihnen das Schicksal und das Leid der Menschen im Katastrophengebiet, die alles verloren haben, am Herzen liegt“, kritisierte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer, Bernd Baumann, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Durch die Behauptung von Herrn Buschmann, nun komme es bei der Einberufung einer Sondersitzung auf jeden Tag an, werden sich nicht wenige Flutopfer verhöhnt fühlen.“