© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Bald vereint und zugkräftiger?
EU-Parlament: Hinter den Kulissen feilschen die zwei Rechtsfraktionen an einer neuen bürgerlichen Kraft
Felix Hagen

Sie ist die neue unbekannte Größe in den Gängen des EU-Parlaments in Brüssel: die neue Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen der ID (Identität und Demokratie) und der EKR (Europäische Konservative und Reformer). 

Am 2. Juli dieses Jahres unterzeichneten 16 Parteien aus 15 Staaten eine gemeinsame Deklaration für die Zukunft Europas. Eine gemeinsame Stimme derer, die „der Freiheit der Nationen und den Traditionen der europäischen Völker verbunden sind“.

Mit an Bord ist das Who is Who der europäischen Rechten, neben Matteo Salvini (Lega) und Marine Le Pen (Rassemblement National; RN) auch Viktor Orbán (Fidesz) und Jarosław Kaczyński (Recht und Gerechtigkeit; PiS), ein Prestigegewinn, auf den vor allem Salvini geschielt haben dürfte. Doch tatsächlich hat der Lega-Chef an diesem Erfolg wohl weniger Anteil, denn es war ein gemeinsamer Besuch von Giorgia Meloni von den italienischen Fratelli d’Italia und Santiago Abascal von der spanischen Vox, die in Warschau und Budapest den Boden für die Zusammenarbeit bereitet haben. 

Besonders den Spanier treibt die Sorge einer erneuten „Migrationsinvasion“ um. Die Schuld an den durchlässigen Grenzen liege bei „den Brüsseler Bürokraten“; nur eine gemeinsame rechte politische Arbeit könne diesen Fehler beheben. Eine „gemeinsame Front zur Verteidigung der Souveränität unseres Heimatlandes und einer Europäischen Union souveräner Staaten, die in Freiheit zusammenarbeiten“, tue dringend not.

Spannung zwischen den beiden italienischen Rechtsparteien

Eine bemerkenswerte Offensive, scheiterte doch bisher jede Zusammenarbeit der europäischen Rechtsparteien an nationalstaatlichen Bedenken und Ressentiments. Eine Sorge, die offensichtlich auch die Beteiligten umtreibt. Denn die Unterzeichner weisen teilweise enorme politische Unterschiede auf. Die Betonung der transatlantischen Bindung Europas in der Deklaration dürfte in Frankreich auf deutlich weniger Gegenliebe stoßen als im amerikafreundlichen Polen. 

Doch nicht nur inhaltlich, auch persönlich liegen die Parteien teils weit auseinander, und nirgendwo wird das deutlicher als im Spannungsverhältnis zwischen den beiden italienischen Parteien, die die Deklaration unterstützen. Denn dort stehen sich zwei Nahrungskonkurrenten gegenüber, die jeweils im Lager des anderen wildern und meist um Abgrenzung bemüht sind. 

Auf der einen die Fratelli d’Italia, die „Brüder Italiens“ unter der stets adrett gekleideten Giorgia Meloni. Auf der anderen Seite der etwas hemdsärmelige Matteo Salvini und seine Lega. Einwanderungskritisch sind beide, doch abgesehen davon ist die Liste an Gemeinsamkeiten kurz. Beide bedienen in Italien ein weites Spektrum der politischen Rechten, doch wo Salvini die Keule des klassischen Rechtspopulismus nutzt, setzt Meloni das Florett des Rechtskonservatismus ein. 

Der eine hat seine Ursprünge im norditalienischen Separatismus, bezeichnete in der Vergangenheit auch mal seine Landsleute im Süden als „Erdfresser“. Die andere, Kind einer so gescholtenen Sizilianerin, stammt aus der Ideenwelt des italienischen Neofaschismus. Immerhin, Meloni und Salvini haben in der Vergangenheit bereits eng auf nationaler Ebene zusammengearbeitet. 

Noch 2018 bildeten die Fratelli d’Italia mit Salvinis Lega ein Wahlbündnis, das beachtenswerte Erfolge einfahren konnte. Doch in jüngerer Zeit hat die Zusammenarbeit deutliche Risse bekommen. Während Salvini zusammen mit dem alternden Berlusconi die Gründung einer neuen, einigen Rechtspartei unter dem Namen Centro Destra Unito (CDU) in Rom ankündigte, blieb Meloni dem Bündnis fern. Während Salvini die Regierung Conte stützt, läßt Meloni keine Gelegenheit aus, sich in beißender Kritik an dem Bündnis abzuarbeiten, treibt Salvini vor sich her und setzt ihn nun auch international unter Druck.

Dem Instinktpolitiker Salvini ist dieser Widerspruch bewußt. In seiner Rede zur Deklaration warnt er wiederholt vor „Neid- und Zwietracht“, die in den Hintergrund gerückt werden müßten.Eine Mischung mit Sprengwirkung.

In Brüssel kommen Kräfte zusammen, die sich in der Vergangenheit nicht einmal beschnuppern konnten oder wollten. Der Vlaams Belang gilt zwar als eine der professionellsten und effektivsten rechten Parteien, hat aber seine Bindung zum flämischen Separatismus nicht aufgegeben, der wiederum gelegentlich Kontakte nach Katalonien unterhält und sich 2018 hinter den Separatisten Puigdemont stellte. Den Erzfeind von Santiago Abascal und seiner Vox. Hinter vorgehaltener Hand flüstern daher viele in Brüssel von einer „Showdeklaration“. Die Zusammenarbeit habe vor allem den Zweck, in der Heimat den einen oder anderen Wähler zu gewinnen, der sich von der Perspektive einer gemeinsamen europäischen Rechtsoffensive einfangen läßt. 

Darauf weist auch die Abwesenheit eines nicht unbedeutenden Akteurs hin. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist unter den Zeichnern der Deklaration nicht vertreten. Für den Delegationschef Jörg Meuthen ist der Grund klar. Er sieht seine eigene Partei als Schmuddelkind in der europäischen Rechtsfamilie. Der sogenannte „Dexit-Beschluß“ und enge „Kontakte nach Rußland“ seien maßgeblich dafür verantwortlich, daß man nicht eingeladen worden sei, gibt Meuthen in einer internen Mail an seine Kollegen kund. Von Mitarbeitern der Fraktionen wird zumindest der Kontakt nach Moskau als Grund abgelehnt. Sowohl Salvini als auch Le Pen pflegen ebenfalls eine gute Beziehung in den Kreml.

Der Beschluß zum Austritt aus der EU dürfte hingegen schwerer wiegen. Er gilt als Hindernis auf dem Weg zu einer seriösen Rechtspartei, das alle anderen Partner in Europa bereits hinter sich gebracht haben. Eine „gewisse Unreife“ attestiert ein österreichischer Nationalratsabgeordneter der FPÖ der deutschen Schwesterpartei in dieser Hinsicht. Doch das allein habe nicht ausgereicht, um die Deutschen vor der Tür zu lassen. Schwerer habe der Einfluß der Ungarn gewogen. Dort verfügt Orbán unverändert über einige gute Kontakte in die CSU. Gerade vor dem Hinblick der anstehenden Parlamentswahlen will sich der Fidesz-Chef keine europapolitische Blöße geben. Hinzu kommt die Abhängigkeit der ungarischen Wirtschaft von der süddeutschen Industrie. Am Ende dürfte den meisten Ungarn der Arbeitsplatz näher sein als eine europäische Allianz der migrationskritischen Parteien.

Festgefahrene Strukturen behindern die Zusammenarbeit

Zu guter Letzt ist auch die Zielrichtung der Deklaration nicht klar. Einige sehen in ihr einen ersten Schritt zu einer größeren Fraktion. Salvini etwa, der sich in seiner Rede unter anderem auch an einzelne Delegationen der EVP-Fraktion wandte und um einen „großen antilinken Block“ warb. In der FPÖ gibt man sich etwas zurückhaltender. Parteichef Herbert Kickl dankte vor allem dem altgedienten FPÖ-Mandatar Harald Vilimsky für die gute Netzwerkarbeit, man freue sich auf die Zusammenarbeit. 

Klar ist, daß sich an der Struktur fürs erste nicht viel ändern wird. Unverändert existieren sowohl die ID- als auch die EKR-Fraktion im Parlament weiter. Neben den inhaltlichen Unterschieden sorgt dafür die dem Parlamentsbetrieb innewohnende Trägheit. 

Denn im Moment existieren zwei Stäbe mit jeweils gut vergüteten und einflußreichen Positionen, die andernfalls auf eine Struktur vereinigt werden müßten. Auch die Abwesenheit der AfD-Delegation trägt dazu bei, denn sie trägt immerhin zehn Mandate zur ID-Fraktion bei, etwa so viele wie die ungarische Fidesz theoretisch einbringen würde. Hinzu kommt, daß besonders die Kollegen aus Belgien und Frankreich ungern auf ihre deutschen Kollegen verzichten wollen. Die gelten zwar mitunter als diskussionsfreudig und undiszipliniert, tragen aber meist die Anliegen der anderen Mitglieder klaglos mit. 

Im Moment deutet daher vieles auf eine Zusammenarbeit der beiden Fraktionen hin. Die europäische Linke führt dieses Modell seit Jahren erfolgreich vor. Mehrere linke Fraktionen arbeiten projektbezogen zusammen. Gemeinsame Arbeitsgruppen erarbeiten Positionspapiere und Anträge, die dann gemeinsam im Parlament eingebracht werden. Als loses Dach über dieser Vereinbarung dienen gemeinsame Grundsätze und Deklarationen.

 Bereits jetzt verfügen einzelne Mitglieder der ID- und EKR-Fraktionen über gute persönliche Kontakte in die jeweils andere Fraktion. Besonders die spanischen Abgeordneten der Vox gelten als fleißige Netzwerker. So sandte der spanische Abgeordnete Jorge Buxade eine Videobotschaft anläßlich einer Veranstaltung des AfD-Abgeordneten Maximilian Krah. Auch der Shooting Star des französischen RN, Marion Maréchal Le Pen, trat auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit Abascal in Madrid zur Zukunft europäischer Politik auf. Ein Erfolg, der die enge Zusammenarbeit mit dem Spanier signalisieren soll. 

Einen Erfolg können die Unterzeichner in jedem Fall bereits jetzt verzeichnen: Die Perspektive einer großen rechten Fraktion hat Auswirkungen auf die Selbstsicherheit der EVP-Abgeordneten. Anders als in der Bundesrepublik ist der Cordon Sanitaire rund um die rechten Fraktionen in Brüssel eher schwach ausgeprägt. Schon bald könnte es zu punktueller Zusammenarbeit zwischen EVP und den rechten Fraktionen kommen, denn der Sirenengesang einer komfortablen rechten Mehrheit im Parlament ist deutlich angeschwollen. 

Foto: Lega-Chef Matteo Salvini (l.) und Ungarns Premier Viktor Orbán (Fidesz): Endlich eine „gemeinsame Front zur Verteidigung einer Europäischen Union der souveränen Staaten“ bilden