© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Luftgitarren und fliegende Haare
Als Hardrock und Heavy Metal plötzlich radiotauglich wurden: Vor 30 Jahren schrieben Metallica, Guns n’ Roses und Co. Musikgeschichte
Felix Krautkrämer

Zu keinem anderen Lied einer Heavy-Metal-Band sind wohl mehr Frauen und Mädchen geküßt und geliebt worden als zur Metallica-Ballade „Nothing Else Matters“. Als die Band ihr legendäres Schwarzes Album vor 30 Jahren, am 12. August 1991, veröffentlichte, waren viele Fans überrascht. Die Meister des Thrash Metal klangen auf einmal melodischer und streckenweise wie gezähmt. Plötzlich waren Metallica radiotauglich. Das spiegelte sich auch in den Verkaufszahlen wider: Mit mehr als 28 Millionen abgesetzten Tonträgern ist das Schwarze Album bis heute das mit Abstand erfolgreichste der Gruppe. Zum Vergleich: Klassiker wie „Master of Puppets“ (1986) oder „… And Justice for All“ (1988) gingen acht beziehungsweise zehn Millionen Mal über den Ladentisch. 

Es war auch das erste Nummer-eins- Album für Metallica in ihrer Heimat USA. In Deutschland, England, Australien und sechs weiteren Ländern kletterte The Black Album ebenfalls an die Spitze. Metallica hatten mit dem Werk und der Mischung aus Balladen wie „The Unforgiven“, eingängigen Intros wie zum Opener „Enter Sandman“, aber auch härteren Nummern wie „Holier Than Thou“ den Nerv des musikalischen Zeitgeists getroffen.

Die Scorpions lieferten die Begleitmusik zur Zeitenwende

Hard ’n’ Heavy, klassischer Hardrock und Heavy Metal, befanden sich 1991 auf ihrem Zenit. Videos liefen auf MTV, Bandshirts und Jeans-Kutten gehörten zum Straßenbild, Konzerte wie Rock am Ring wurden zu Massenveranstaltungen, und die Poster der Rock-Idole und Gitarrenhelden zierten unzählige Jugendzimmer. Im September schrieben Guns n’ Roses mit ihrem Doppelalbum „Use Your Illusion I + II“ Musikgeschichte. Beide Scheiben verkauften sich jeweils knapp 20 Millionen Mal. Auf ihrer dazugehörigen Welttournee füllte die Gruppe um Sänger Axel Rose und Leadgitarrist Slash die größten Stadien in den USA, Lateinamerika, Europa und Asien. Insgesamt spielte die Band dabei vor mehr als sieben Millionen Fans. Die Singleauskopplung „You Could Be Mine“ rockte den Soundrack eines der erfolgreichsten Action-Streifen der neunziger Jahre: „Terminator II“.

Bereits im Juli hatte Schock-Rock-Legende Alice Cooper sein Studio-Album „Hey Stoopid“ veröffentlicht, das zwar recht erfolgreich war, jedoch hinter den Zahlen seines Meister-Comebacks „Trash“ von 1989 mit Hits wie „Poison“ und „House of Fire“ blieb. Auch Enfant terrible Ozzy Osbourne beglückte die Szene im September mit einem neuen Album („No more Tears“), das zu Recht noch heute als einer der Hardrock-Klassiker seiner Zeit gilt. 

Musikalisch eingeläutet hatten das Jahrzehnt unter anderem die Scorpions mit „Crazy World“ und ihrer Überflieger-Ballade „Wind of Change“, das zur Begleitmusik der Wende im Ost-West-Konflikt wurde. Bon Jovi und ihr Sänger John Bon Jovi ließen weltweit die Mädchenherzen schmelzen, überall sprossen junge, langhaarige Hardrock-Combos wie Mr. Big, Extreme und Ugly Kid Joe aus dem Boden, geleitet vom Traum des großen Geldes und der hübschen Groupies. Doch auch Bands wie die amerikanischen Hardrocker von Kiss, die schon seit Jahren eine feste Größe im Musikgeschäft waren, bewiesen mit „Revange“ (1992), daß sie längst nicht zum alten Eisen des Schwermetalls gehörten. Die auf dem Album enthaltene Hard-Rock-Hymne „God Gave Rock ’n’ Roll to You II“ war zuvor bereits auf dem Soundtrack des Kinofilms „Bill & Ted’s verrückte Reise in die Zukunft“ erschienen, was die Musik auch neuen Zielgruppen ins Ohr spielte. Das definitive filmische Denkmal setzte der Headbanging-Szene aber 1992 die Musikkomödie „Wayne’s World“ mit einem Gastauftritt Alice Coopers.

Im gleichen Jahr veröffentlichten Def Leppard „Adrenalize“, das mit „Let’s Get Rocked“ gleich Mehrfach-Platin erreichte und in den USA sowie Großbritannien Platz eins der Charts erklomm. In England brachten Iron Maidon mit „Fear of the Dark“ ihr neuntes Studioalbum auf den Markt, an das sich die gleichnamige Welt-Tour mit 68 Shows anschloß.

Doch bei allem Erfolg zeichnete sich längst ab, daß die Hard ’n’ Heavy-Glanzzeit ihrem Höhepunkt entgegenging oder diesen vielleicht sogar schon überschritten hatte. Bereits seit 1991 schickten sich Bands wie Nirvana mit „Nevermind“ und Pearl Jam mit „Ten“ an, die neue Musikrichtung des Rocks vorzugeben. Der Siegeszug des Grunge mit Bands wie Soundgarden oder Alice in Chains war nicht aufzuhalten. Ebenfalls 1991 hatten die Red Hot Chili Peppers mit „Blood Sugar Sex Magic“ auf sich aufmerksam gemacht. Die Alternative-Gruppe aus Kalifornien stieg in den kommenden Jahren zu weltweiten Superstars auf, die die Entwicklung des Rocks mit ihrem virtuosen Stil bis heute prägen. 

Näher am Renteneintritt als am Berufseinstieg

Zwar gelang den Altrockern von Aerosmith mit „Get a Grip“ 1993 noch ein vor allem kommerziell beachtlicher Erfolg, dennoch konnte auch das nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß eine musikalische Ära zu Ende ging. Aus den USA rollte mit Green Day („Dookie“) und The Offspring („Smash“, beide 1994) die neue Punkwelle an. In Deutschland tanzte man zu Rednex, Scooter oder DJ Bobo, unzählige Teenager-Mädchen himmelten kreischend Boybands wie New Kids on the Block oder Take That an, und Rap und HipHop wurden zum Sound der Jugend des wechselnden Jahrtausends.

Hardrock und Metal galten als uncool und angestaubt. AC/DC, Alice Cooper, Kiss, aber auch Iron Maiden und Metallica: Hatten das nicht schon die eigenen Eltern gehört? Und dazu die Camping-Platz-Romantik der Rock-Festivals: Das war ja schon fast spießig. Mit langen Haaren, Tattoos, unpolitischen Texten und übermäßigem Whiskey-Konsum konnte man längst niemanden mehr schocken. Daß die Hardrock-Fans auch nur bedingt nachwuchsen, zeigt sich nicht nur an den heutigen Albumverkäufen von Metallica und Co., sondern auch auf Konzerten von AC/DC oder Kiss, wo der Altersdurchschnitt näher am Renteneintritt als am Berufseinstieg liegt. Guns n’ Roses waren nach Jahren der Trennung und des Streits nicht zuletzt aus Geldnot 2018 ohne neues Album nochmals auf große Tour gegangen. Doch nicht nur beim desaströsen Auftritt im Berliner Olympiastadion zeigte sich, daß die Band nur eine schlechte Kopie vergangener Tage war. Der Einzigartigkeit ihrer Musik hat das jedoch keinen Abbruch getan. Sie überdauerte wie die anderen Meilensteine der „Hard ’n’ Heavy“-Epoche dank Vinyl, CD und MP3 die vergangenen drei Jahrzehnte ganz ohne zu altern.