© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Dorn im Auge
Christian Dorn

Das AfD-Wahlplakat „Kieze statt Ghettos“ erinnert mich an die mitternächtliche Szene vergangener Woche an der Schönhauser Allee, als ich in der „Burger King“-Filiale diesen Schweinefraß aus Rind, einen Cheeseburger, bestelle. Bereits zuvor registriere ich aus dem linken Augenwinkel die teuren Mercedes-Limousinen am Straßenrand, allesamt besetzt von orientalischen Figuren. Zwei davon betreten nach mir den Laden, von denen sich der Größere der beiden als ehemaliger Kollege der migrantischen Fachkraft hinter der Theke herausstellt. Auf deren Frage, wo er sich denn die ganze Zeit herumgetrieben habe, gibt der betont cool zurück: Er sei doch „im Knast“ gewesen, „in Moabit, so zwei, drei Jahre – oder vier? Weiß nich’ mehr genau.“ Das pralle Bündel Geldnoten in seiner Hand scheint in der Summe ebenso unübersichtlich zu sein – ohne richtig abzuzählen, drückt der Ex-Burger-King seinem Kompagnon ein Dutzend Euro-Scheine in die Hand. Flüchtig streift mich auf dem Heimweg die Erinnerung an die alberne Kampagneidee „Staats-Burger-Kunde“, die ich um die Jahrtausendwende erfolglos der Imbißkette angeboten hatte mit fiktiven Angeboten wie „Burger-Recht“, „Staats-Burger“ oder „Wahl-Burger“. 

Ungeklärte OK-Maschinerie: Ist es die Haupt- oder ist es die Vorwäsche? Oder ist es gar der Schonwaschgang?

Wieder führt der Weg vorbei an verschiedenen Spätis, die in Wirklichkeit Geldwäschereien sind, so etwa der Laden hinter der übernächsten Ecke, der seit der Pandemie durchgehend geschlossen war und seit diesem Frühsommer wieder geöffnet hat, als wäre nichts gewesen. Als sei die Wahl hier auf den „Weißen Riesen“ gefallen, denn: „Seine Waschkraft macht ihn so ergiebig.“ Ungeklärt bleibt für mich jedoch das Waschprogramm, das die OK-Maschinerie gewählt hat: Ist es die Haupt- oder ist es die Vorwäsche? Oder ist es gar der Schonwaschgang? 


Ablenkung verspricht das queere Café nebenan, unweit der irischen Kneipe, wo drei Sturzbetrunkene in der Sonntagnacht miteinander um die Senkrechte ringen – und um Verständlichkeit. Der zur Waagerechten neigende Typ des Trios erklärt plötzlich akzentuiert: „Ich habe keine ID … ich meine, ich habe keine Idee!“ Tage zuvor erlebte ich auf Höhe des Cafés um Mitternacht eine filmreife Begegnung – une liberté toujours: Als ich meinen Schritt verlangsame, um den Kreis eines halben Dutzends attraktiver junger Damen flüchtig in Augenschein zu nehmen, dreht sich die mit dem Rücken zu mir stehende fremde Heroine plötzlich um, schaut mir kühl in die Augen und haucht mir genüßlich den Rauch ihrer Zigarette ins Gesicht. Wenn das keine Körperverletzung ist! Tatsächlich ist es eine so sinnliche wie ephemere Epiphanie, zieht uns doch das Ewig-Weibliche hinan – und sei es als hysterische Furie wie gestern im Zug nach Berlin, als mich ein junges Ding belehrt, doch strikt die Maske aufzusetzen, obgleich sie selbst meterweit von mir entfernt sitzt, ohne Sichtkontakt. Der Mann neben mir braust sogleich auf und weist die Denunziantin zurecht: Sie könne „gleich ’33 nochmal anfangen“, und dekretiert: „Beschäftigen Sie sich lieber mal mit dem Nürnberger Kodex, dann wissen Sie, was Sache ist.“ Bahnhof Zoo, wo sie aussteigt, schaut sie kurz zu mir, nennt mich „Abschaum“, bevor sie draußen – durch das Fenster – den gestreckten Mittelfinger zeigt.