© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Von der Enteisung Grönlands zur Bewässerung der Sahara
Allmachtsphantasien: Wetter und Klima in der deutschsprachigen Science- fiction-Literatur seit 1871
Dirk Glaser

Allen Anstrengungen von Altparteien und Altmedien zum Trotz, die wahre Dimension des Problems zu verschleiern, rangiert die „Massenmigration“ nach der jüngsten Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie vor dem Klimaschutz, der Sozialpolitik oder der Pandemie-Bekämpfung an erster Stelle unter den drückendsten Sorgen des deutschen Wahlvolks. Gleichwohl ist anhand der Allensbacher Daten unverkennbar, wie erfolgreich seit dem  „Willkommenssommer“ von 2015 es dem politisch-medialen Komplex gelungen ist, ein klassisches Ablenkungsthema wie den „Klimawandel“ in sehr vielen Köpfen zu verankern. Daher setzt der „Klimadiskurs“ mit totalitär anmutender Gründlichkeit mittlerweile selbst in abseitig scheinenden Wirklichkeitsbezirken zur Eroberung kultureller Hegemonie an. Etwa in der deutschen Literaturgeschichte. Dem aktuell so mächtigen Zeitgeist zu folgen und sie ganz neu unter dem Aspekt „Wetter und Klima“ zu betrachten, hält der Kölner Literaturwissenschaftler Hans Esselborn darum für höchst reizvoll. 

Kurd Laßwitz warnte: Vergiß über die Technik die Ideale nicht

Um diese Herkulesaufgabe gemächlich anzugehen, nimmt er eine erste Musterung vor anhand einiger Texte deutschsprachiger, zwischen der Bismarckzeit und unserer unmittelbaren Gegenwart entstandener Science fiction (Wirkendes Wort, 1/2021). Gleich das Pionierwerk dieses Genres, Kurd Laßwitz’ 1871 erschienener, im Jahr 2371 spielender Kurzroman „Bis zum Nullpunkt des Seins“ greift in seinen futuristischen Phantasien den Menschheitstraum auf, das Wetter machen zu können. Besitzt der Held der Geschichte doch eine Maschine, die es in trockenen Sommer regnen läßt, mit deren Hilfe er aber umgekehrt ebenso gut Regenwolken zerstreuen kann. Die Macht des Wetterfabrikanten ist jedoch höchst beschränkt, denn die Maschine vermag nicht das globale Klima, sondern nur das lokale Wetter zu regulieren.

Zudem ist der wilhelminische Gymnasialprofessor Laßwitz, der mit seinem opulenten Roman „Zwei Planeten“ (1897) zum Stammvater aller Science-fiction-Autoren geworden ist, nicht, wie viele seiner Nachahmer, enthemmt fortschrittsgläubig. Bei allem Vertrauen darauf, daß es der Menschheit möglich sei, sich ein technologisch perfektioniertes Paradies zu schaffen, verbindet der strenge Kantianer seine Zukunftsvisionen mit der Warnung vor dem „Sinnverlust“ des dann im Materiellen versinkenden Homo sapiens: „So lautet die Moral von der Geschicht’: Vergiß über die Technik die Ideale nicht. Ohne Technik keine Zukunft, aber ohne verwirklichte ‘Metaphysik der Sitten‘ [Kant] Selbstvernichtung und Tod.“ Dementsprechend führt in Laßwitz’ „Nullpunkt“-Roman der Primat der Ratio und die Vernachlässigung von Gefühl und Kunst zur menschlichen Katastrophe.

Auch „Das Automatenzeitalter“ (1930), der „prognostische Roman“ des auf Laßwitz’ Spuren wandelnden Ludwig Dexheimer (Pseudonym Ri Tokko), handelt von einem genialen Wettermacher, der seine Fähigkeiten zwar wiederum nur lokal begrenzt, in einer Automatenstadt in Mitteleuropa, entfaltet. Der Autor reflektiert aber schon den Anteil, den CO2 an der Erwärmung der Atmosphäre hat und stellt einen Zusammenhang zwischen Klima und Demographie her: Nur wenn die Weltbevölkerungszahl auf 100 Millionen, von künstlicher Intelligenz unterstützter Europäer beschränkt bleibe, habe deren energiesparende Industrie keine negativen Effekte auf das Weltklima.

Von solchen kleinräumigen wie idyllischen Zukunftsentwürfen sind andere, teils von technologischem Größenwahn kündende, teils dystopische Science-fiction-Texte der Zwischenkriegszeit weit entfernt. So propagierte der gelernte Ingenieur Hermann Sörgel 1927 das geopolitische Projekt „Atlantropa“, das den Wasserspiegel des Mittelmeers durch den Bau eines Staudamms zwischen Gibraltar und Ceuta um bis 200 Meter absenken sollte. Mit der durch Wasserkraft erzeugten Energie glaubte Sörgel dann die Sahara und weiteres, dem Mittelmeer in Nordafrika abgerungenes Neuland bewässern zu können.

Hans Dominik setzte das Wetter als Waffe ein

Von Sörgels Optimismus bezüglich der Chancen großtechnischer, nun schon global ausgreifender Klimaveränderungen ließen sich zahlreiche Romanautoren anstecken, etwa Georg Güntsche mit „Panropa“ (1930) oder der deutsch-schweizerische Bestseller-Produzent John Knittel mit „Amadeus“ (1939). Daß sozialistische Omnipotenz-Träume hieran nahtlos anschlossen, erwähnt Esselborn nur am Rande, wenn er beispielhaft auf Heinz Viewegs „Die zweite Sonne“ (1956) hinweist, der den Lesern in der frühen DDR suggerierte, daß eine künstliche atomare Sonne die Energiefragen nicht nur des Arbeiter- und Bauernstaates definitiv lösen würde. 

Bedenken, daß die Umgestaltung der Erde zwangsläufig mit Umweltzerstörung zu bezahlen ist, kamen weder bürgerlichen noch sozialistischen Utopisten. Genausowenig wie Hans Dominik, bis 1945 der erfolgreichste Verfasser von „Ingenieursromanen“. In „Die Spur des Dschingis-Khan“ (1923) gewinnt Dominik dem Thema „Wetter und Klima“ erstmals einen völlig neuen Akzent ab: das Wetter als Waffe. Denn die großtechnische europäische Kolonisation der turkestanischen Wüste, die Dominiks nach dem Old-Shatterhand-Vorbild kreierter „sieghafter Tatmensch“, Oberingenieur Georg Isenbrandt, organisiert, provoziert einen Krieg mit dem mongolisch beherrschten China, der schließlich in einen weltweiten „Krieg der Rassen“ mündet, den der Wetterzauberer Isenbrandt mit seiner Wunderwaffe entscheidet, die Peking im Schnee erstickt. Auszug: „Georg Isenbrandt stand in seinem Laboratorium in Wierny. Er hatte die Tür des Raumes sorgfältig verschlossen. Niemand sollte ihn bei diesen Versuchen stören, die ihm die letzte Sicherheit bringen mußten. Das Dynotherm wirkte wie eine radioaktive Substanz. Seine Materie zerfiel, löste sich scheinbar in das Nichts auf und verschwand aus der Schöpfung. Dafür aber traten riesenhafte Energiemengen auf, entstanden scheinbar ebenfalls aus dem Nichts und dienten bei den Arbeiten der Kompagnie dazu, die Hochalpen Asiens in einen heißen, viele Tausende von Meter in die Höhe reichenden Dampfnebel zu hüllen.“ 

In Uwe Laubs düsterem Roman „Sturm“ (2016) ist eine solche, nun von allen Großmächten gehandhabte technische Wettermanipulation bereits selbstverständliche Basis der Dramaturgie.

Kein Geringerer als Alfred Döblin scherte mit „Berge Meere und Giganten“ (1924) früh aus dem Chor allzu lange ungebrochen fortschrittsseliger Verfechter großtechnischer Klimaexperimente mit dem Planeten Erde aus. Der Roman widmet sich den Folgen der Enteisung Grönlands durch die Sprengung großer Vulkane auf Island, deren Glut auf Frachtern an die Küste Grönlands verschifft wird, und zeigt, wie Menschen im Sog des technisch Machbaren, geblendet von der Faszination der Naturbeherrschung, ihre eigenen Lebensgrundlagen vernichten. 

Döblins schauriges Panorama malt Reinhard Jirgl in „Nichts von Euch auf Erden“ (2012) zum Endzeit-Gemälde einer unter den Bedingungen der selbstverschuldeten Klimakatastrophe lediglich noch vegetierenden Menschheit aus, die per Massenimpfung genetisch umgepolt wird, um im Zustand der Hörigkeit zur Sklavenarbeit auf den Mars deportiert zu werden. 

Etwas hoffnungsvoller entlassen Herbert W. Frankes „Endzeit“ (1985), Tom Hillenbrands „Hologrammatica“ (2018) und Thore Hansens „Die Reinsten“ (2019) ihre Leser in die Welt des täglich bizarrere Schlagzeilen erzeugenden „Klimawandels“ zurück. Bei Franke kommt die Rettung für die Bewohner der wüstenähnlichen, nahezu toten Erde durch ein Raumschiff, das freilich nur wenige Menschen, die „Unentbehrlichen“, vor dem Weltende rettet. Hillenbrand und Hansen lassen ihre Figuren eine Reihe heute diskutierter, auf „Klimaneutralität“ eingeschworener Reaktionen auf die Überbeanspruchung des blauen Planeten durchspielen, um sie als unzureichend zu verwerfen.

Dafür schiebt sich bei ihnen, an Dexheimers ideale Automatenstadt erinnernd, eine Lösung in den Vordergrund, die heute überparteilich von allen jenen „Klimaaktivisten“ nach Kräften tabuisiert wird, die an falschen Stellschrauben wie deutschen Kohlekraftwerken oder Verbrennungsmotoren drehen: Eindämmung der Bevölkerungsexplosion. Sinke die Geburtenrate im globalen Süden drastisch, so lautet die Botschaft beider Roman-Protagonisten, halbiere sich die Weltbevölkerung binnen Jahrzehnten im selben Tempo wie die CO2-Belastung der Erdatmosphäre abnehmen werde.

Ri Tokko (Ludwig Dexheimer): Das Automatenzeitalter. Herausgegeben von Ralf Bülow, Shayol Verlag, Berlin 2004, gebunden 792 Seiten, nur noch antiquarisch

Detlef Münch (Hrsg.): Telelyt – Sämtliche Science-fiction-Erzählungen von Kurd Laßwitz 1871–1910. Synergen Verlag Deutscher Bierkultur, Dortmund 2018, gebunden, 376 Seiten, 39,80 Euro

Foto: Gardens by the Bay, ein reales Parkgelände in Singapur: Einige der Super Trees, pflanzenbewachsene Stahlgerüste, haben Photovoltaikzellen auf ihren Baumkronen, um Elektrizität für Beleuchtung und Kühlsysteme zu gewinnen