© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/21 / 13. August 2021

Haltungsnote
Unerwähnte Vorgeschichte
Gil Barkei

Es ist ein Paradebespiel dafür, wie leicht in den sozialen Medien und in den heutigen haltungsschwangeren Zeiten Vorfälle einen einseitigen Dreh bekommen können. Die Kommentare unter Rawan E.s Instagram-Video ist zumindest eindeutig: „Drecksnazis“. Der Clip zeigt, wie die 25jährige Sudanesin, die Miss Germany werden will, von mehreren Personen verfolgt und beleidigt wird. Sie redet von Stalking und Mobbing. Die Lage scheint klar: der deutsche Faschomob lebt seinen Rassismus an einer unschuldigen Schwarzen aus. Doch es gibt eine Vorgeschichte, die das Internetvideo nicht zeigt: Weil E. die Mietkaution nicht zahlt, stellen ihr laut Bild ihre Vermieter den Strom und das Wasser ab. Daraufhin greift die angehende Schönheitskönigin ihre Vermieterin an, schlägt ihr ins Gesicht und beißt ihr laut Staatsanwaltschaft in den Unterarm, bis das Blut fließt. Auch gegen den Kopf der mittlerweile am Boden liegenden Frau soll die junge Mutter mehrfach getreten und dabei gerufen haben: „Ich bringe dich und deine Scheißfamilie um.“ Angehörige des Prügelopfers und Nachbarn greifen ein, wobei das Video entsteht. Doch während für die bunte Netz-Öffentlichkeit die Schuldigen bereits feststehen, kassiert E. eine Anklage wegen Körperverletzung. Mit der Veröffentlichung des Insta-Clips beweist sie aber dann doch, die Mechanismen dieser Gesellschaft perfekt verstanden zu haben. Der Titel „Miss BRD“ würde also vielleicht tatsächlich passen.