© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Der Posten bleibt vakant
Amt des Bundestagsvizepräsidenten: Die AfD scheitert in Karlsruhe vor dem Verfassungsgericht mit ihrem Antrag auf einstweilige Verfügung
Christian Vollradt

Politisch war die Sache längst entschieden. Nun sind auch juristisch die Würfel gefallen. In dieser Legislaturperiode, die ohnehin bald endet, wird es keinen Bundestagsvizepräsidenten-Posten für die AfD mehr geben. Und das Bundesverfassungsgericht wird an diesem Umstand auch nichts mehr ändern. Vergangene Woche hat das höchste deutsche Gericht den Antrag der AfD-Fraktion auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zum Verfahren bei der Wahl eines Vizepräsidenten des Bundestages verworfen. 

Zwar hatte der Bundestag bereits zu Beginn der Legislaturperiode auf Antrag aller Fraktionen mehrheitlich die Zahl der Stellvertreter des Bundestagspräsidenten auf sechs festgelegt und dabei klipp und klar beschlossen: „Jede Fraktion stellt eine Stellvertreterin oder einen Stellvertreter des Präsidenten.“ Doch seit vier Jahren ist einer dieser Posten dauerhaft vakant – die AfD stellt keinen Bundestagsvizepräsidenten. Im Laufe der Jahre verfehlten Albrecht Glaser, Mariana Harder-Kühnel, Gerold Otten, Paul Viktor Podolay, Karsten Hilse und Harald Weyel jeweils in drei Wahlgängen die erforderliche Mehrheit. „Wir können Albert Einstein, Mutter Teresa oder den Dalai Lama aufstellen, wir werden aus Prinzip abgelehnt“, resümierte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, das Verfahren.

Karlsruher Richter monieren einen zu spät gestellten Antrag

Von Karlsruhe erwarteten er und seine Kollegen also das Durchschlagen eines juristischen gordischen Knotens, nämlich daß einerseits qua Geschäftsordnung der Fraktion zwar ein Sitz im Bundestagspräsidium unbestritten zusteht, daß aber andererseits aufgrund der verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit der Abgeordneten diese nicht verpflichtet sind, einen Kandidaten zu wählen. In den Augen der AfD kann es nicht sein, daß ihre Kandidaten aus sachfremden Gründen, nur wegen ihrer Parteizugehörigkeit abgelehnt werden. Dieser Verdacht ist jedoch offenkundig, denn auch bei der Wahl anderer Gremien scheiterten ihre Kandidaten regelmäßig. Die Fraktion sieht ihr Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung und den Grundsatz der Organtreue verletzt. Der Bundestag müsse also bisher fehlende „Vorkehrungen zum Schutz vor einer Nichtwahl aus sachwidrigen Gründen“ schaffen. 

Doch Karlsruhe beschied den Antrag abschlägig. Zwar könne in einem Hauptsacheverfahren womöglich festgestellt werden, daß durch die Zurückweisung ihrer Wahlvorschläge bei den zurückliegenden Wahlen die Rechte der AfD-Fraktion verletzt wurden. Allerdings könne der Bundestag nicht zum Erlaß einer neuen Geschäftsordnung verpflichtet werden. Außerdem habe die Fraktion nicht schlüssig dargelegt, inwiefern eine einstweilige Anordnung ihre Chancen auf ein erfolgreiches Wahlverfahren bis zum Abschluß der in Kürze endenden Legislaturperiode wesentlich fördern würde. 

Am Ende monierten die Karlsruher Richter, daß sich die AfD zu spät mit ihrem Eilantrag an das höchste deutsche Gericht gewannt habe. Die Antragstellerin sah sich bereits seit Beginn der Wahlperiode im Oktober 2017 durch die Nichtwahl ihres ersten Kandidaten und auch durch die folgenden Nichtwahlen weiterer Kandidaten in ihrem Recht auf Schaffung verfahrensmäßiger Vorkehrungen verletzt. Den mit Einlegung des Organstreitverfahrens verbundenen Eilantrag hat sie jedoch erst im November 2020 gestellt. Nun ist natürlich fraglich, wie die Fraktion bereits nach dem Scheitern ihrer ersten beiden Kandidaten hätte wissen können, daß auch die nachfolgenden nicht gewählt würden.

Die AfD-Fraktion zeigte sich vom Spruch in Karlsruhe zwar enttäuscht, doch nicht wirklich überrascht: „Geradezu erwartungsgemäß hat das Gericht uns die Eilsache leider verlieren lassen, sich aber zur Hauptsache so gut wie gar nicht geäußert“, bilanzierte ihr Justiziar Stephan Brandner. Leider habe die Opposition damit erneut in Karlsruhe nicht den erwarteten Rechtsschutz erhalten. Einen Rest Hoffnung scheint der Bundestagsabgeordnete jedoch noch zu haben. „Daß in der Hauptsache zeitnah in unserem Sinne entschieden wird, ist sehr zu hoffen und wäre im Sinne einer funktionierenden Demokratie.“ Wenn das nichts nützt, und die AfD auch im Hauptsacheverfahren unterliegt, bliebe ihr wohl juristisch nur noch der Wechsel auf die europäische Ebene, etwa zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Möglicherweise sehen die Straßburger Richter die Benachteiligung der oppositionellen Fraktion durch die Mehrheit im Bundestag als gravierender an.