© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Ländersache: Sachsen
Glücksfall für die Region
Paul Leonhard

Kurt Biedenkopf hatte eine Angewohnheit, die ihn in Sachsen zum „König“ machte. Egal ob Betriebsbesuch, Gewerbegebietseinweihung oder Volksfest, er lief stets auf die einfachen Menschen zu, drückte ihnen die Hände, rief ihnen ein „Glück auf“ zu und hörte sich ihre Probleme an. Das kam an in einem Land, das seinen Reichtum den Bergleuten in den Silbergruben des Erzgebirges, später dem Kohleabbau in der Lausitz, den bodenständigen Tüftlern und Ingenieuren zu verdanken hatte. Biedenkopf war 1990 ein Glücksfall für das wiederentstehende Sachsen. Und die Sachsen waren ein Glücksfall für Biedenkopf, der am Anfang nur eine Notlösung war. Ein Westimport sollte verhindern, daß die CDU-Blockflöte Klaus Reichenbach, Bezirkschef von Karl-Marx-Stadt, als Spitzenkandidat für die erste Landtagswahl aufgestellt wurde. 

Der Favorit der Reformer hieß Heiner Geißler, aber der verzichtete, nannte jedoch immerhin einen Ersatzkandidaten, einen Professor aus Leipzig: Kurt Biedenkopf. Der Politikwissenschaftler war Anfang 1990 – die DDR existierte noch – an die dortige Uni gegangen, um Volkswirtschaft zu lehren.

Biedenkopf, 1930 in Ludwigshafen geboren, spielte zu diesem Zeitpunkt politisch keine Rolle mehr. Seinen Posten als CDU-Generalsekretär hatte er 1977 nach einem deftigen Krach mit Parteichef Helmut Kohl hingeworfen. Drei Jahre später unterlag er bei den NRW-Landtagswahlen  dem SPD-Mann Johannes Rau und vier Jahre später zog nicht er als EU-Präsident in Brüssel ein, sondern der Franzose Jacques Delors. 

So war die Anfrage aus Sachsen für den im politischen Aus befindlichen Intellektuellen Biedenkopf die Chance, noch einmal durchzustarten. Mochte Kohl die Deutschen in die Wiedervereinigung führen, von der Dresdner Staatskanzlei aus würde er der Stachel im Fleisch des Bundeskanzlers sein und überdies am Beispiel Sachsen zeigen, wie tatsächlich blühende Landschaften entstehen. Ausgestattet mit einer absoluten Mehrheit baute Biedenkopf um sich ein Kabinett aus ehemaligen Bürgerrechtlern und erfahrenen Verwaltungsexperten aus dem Westen auf. Es gelang ihm, ein Bundesland zu formen, in dem sich Automobil-, Chemie- und Mikroelektronikkonzerne sowie wichtige Forschungsinstitute ansiedelten. Die Sachsen dankten es ihm bei den Wahlen 1994 und 1999.

Allerdings entwickelte Biedenkopf im Laufe der Jahre immer mehr monarchistische Elemente, stellte jene kalt, die ihm widersprachen. Die Sachsen witzelten über seine Schrullen und die seiner Frau. Letztlich brachte diese mit der Einforderung eines „Ministerpräsidenten-Bonus“ von 15 Prozent bei Ikea das Faß zum Überlaufen. So gab Kurt Biedenkopf 2002 zur Hälfte der Legislaturperiode sein Amt auf. Am 12. August ist er im Alter von 91 Jahren in Dresden verstorben.