© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Kaczynski steht mit dem Rücken zur Wand
Polen: Nach seiner Entlassung aus der Regierungskoalition verstärkt Jarosław Gowin seine Kritik an der PiS
Josef Hämmerling

Der Rückzug der Partei Porozumienie („Verständigung“) aus der polnischen Regierungskoalition hat eine innenpolitische Krise in Polen ausgelöst, der massive Vorwürfe ihres Vorsitzenden, Jarosław Gowin, folgten. Am Abend zuvor hatte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki seinen Vize Gowin aus dem Amt geworfen, nachdem dieser Steuerpläne des Koalitionspartners, der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) als „radikal sozialistisch“ bezeichnet hatte und keine Möglichkeit für eine weitere Zusammenarbeit mehr sah. Die neun Abgeordneten sicherten der von Jarosław Kaczyński und seiner Partei PiS geführten Koalition eine knappe Mehrheit von 232 Stimmen im Parlament, dem 460 Abgeordnete angehören.

 Mit diesem Schritt wollte Gowin aber auch den Erfolg eines Gesetzentwurfs verhindern, mit dem Kaczyński den unabhängigen Fernsehsender TVN unter politische Kontrolle bekommen will.

TVN, der dem US-Konzern Discovery gehört, ist Polens journalistisch führender Fernsehsender und hatte in der Vergangenheit mehrfach Skandale im Regierungslager aufgedeckt. Kaczyński sieht ihn deswegen als Bedrohung und setzte die Beschlußfassung an, daß Nicht-EU-Unternehmen keinen Fernsehsender in Polen besitzen dürfen.

Warnungen vor milliardenschweren Verlusten 

Zweck sei die Verhinderung einer Einflußnahme ausländischer Mächte auf die Politik seines Landes. Gowins Hoffnung erfüllte sich nicht, denn fünf seiner Fraktionsmitglieder stimmten dann doch für die „Lex TVN“ und verhalfen mit Abgeordneten der konservativen Kukiz’15-Bewegung der PiS zum Sieg. Der polnische Senat muß dem aber noch zustimmen. Da dort die Opposition die Mehrheit hat, wird mit einer Ablehnung gerechnet.

Zusammen mit den Steuerplänen der Regierung, die in manchen Bereichen zu Steuererhöhungen von bis zu 50 Prozent führen könnten, bedeute dies „eine radikale Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit und der Meinungsfreiheit“, erklärte Gowin in einem Interview mit dem Business Insider Polska. Die Lex TVN bedeute für sein Land einen milliardenschweren Schaden und stehe eindeutig im Widerspruch zu dem 1990 zwischen Polen und den USA unterzeichneten Vertrag über die handelspolitische Zusammenarbeit, der die Investitionssicherheit in beiden Ländern garantiert.

 Gowin zufolge haben erste potentielle Investoren ihr Interesse bereits auf Nachbarmärkte wie die Tschechische Republik und die Slowakei verlagert. Dies werde auch Auswirkungen auf die polnischen Finanzmärkte und den Złoty haben, der schon jetzt weltweit die schwächste Währung gegenüber dem US-Dollar sei. Gleichzeitig warnte der 59jährige angesichts der Steuerpläne vor einer „Katastrophe“. So werde die Staatsverschuldung einer Analyse der Obersten Kontrollkammer Polens allein im Jahr 2020 mit 290 Milliarden Złoty so stark ansteigen wie in den zehn Jahren zuvor. Aufgrund der Corona-Pandemie werde die EU wohl 2021 und auch 2022 nicht so streng auf die Einhaltung der EU-Haushaltsvorgaben achten, aber bis 2023 werde dies wohl wieder der Fall sein. Spätestens dann drohe Polen ein Verfahren.

„Ich glaube, daß Kaczyński dazu neigt, die Wahlen im Frühjahr nächsten Jahres abzuhalten“, betonte Gowin in einem Interview mit Super Express und fügte hinzu, daß die PiS dann „keine Chance“ habe zu gewinnen, wenn die Wahrheit über die Haushaltslage an die Öffentlichkeit gelange. Die Frage ist auch, wie die Polen Kaczyńskis Rücknahme der von der EU heftig kritisierten Justizreform aufnehmen.