© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Gibt es eine echte Corona-Ansteckungsgefahr durch Bargeld?
Scheinheilige Panikmache
Dirk Meyer

In vielen Supermärkten ist noch zu hören: „Liebe Kunden und Kundinnen, um unser Personal und Sie vor Infektionen zu schützen, bitten wir Sie, auf Bargeldzahlung an unseren Kassen zu verzichten.“ Und diese Warnung zeigt Wirkung: Laut einer neuen EZB-Studie zu den Risiken einer Corona-Infektion durch Euro-Scheine und -Münzen bestätigen 38 Prozent der Befragten diese Furcht, die sie zu einer vermehrten Kartenzahlung geführt habe. 33 Prozent führten zudem Risiken durch den Handkontakt beim Kassieren an. So haben seit Pandemieausbruch 39 Prozent das Bargeld für Einkäufe seltener genutzt, 49 Prozent gleich oft. Nur zehn Prozent nutzen Bargeld mehr als 2019.

Allerdings gaben auch 45 Prozent die Bequemlichkeit von bargeldlosen Zahlungen als Grund an. Von daher scheint der Trend zur digitalen Transaktion auch dem Bezahlen per Smartphone oder dem Interneteinkauf geschuldet. Bargeld hat gerade in Krisenzeiten aber auch noch eine andere Funktion. Bargeld ist gegenüber Bankguthaben die liquideste und ausfallsicherste Geldform. Die Bürger haben daher vermehrt Euro-Noten gehortet. Der Bargeldumlauf stieg zwischen 2019 (fünf Prozent) und 2020 (zwölf Prozent) auf mehr als das Doppelte (insgesamt 1.425 Milliarden Euro an). Das sind 20,6 Prozent der EZB-Bilanzsumme. „Geld ist geprägte Freiheit“, schrieb schon Fjodor Dostojewski 1862 in seinen „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“.

 Von besonderem Interesse in der EZB-Studie ist jedoch die wissenschaftliche Untersuchung zur Übertragbarkeit des Coronasvirus durch Bargeld. In Zusammenarbeit mit der Ruhr-Universität Bochum wurden unter verschiedenen realistischen Rahmenbedingungen eine 10-Euro-Note sowie die verschiedenen Münzen auf die Überlebensdauer von Sars-CoV-2 hin untersucht. Die Ergebnisse: Eine PVC-Kreditkarte hält das Virus länger auf der Oberfläche als die Banknote. Während die „Austrocknungszeit“ der Banknote bei über 72 Stunden liegt, beträgt sie bei der 1-Euro-Münze 24 Stunden, bei der 10-Cent-Münze sechs Stunden und bei der 5-Cent-Münze nur 30 Minuten. Die Ursache für die Abweichungen sind die unterschiedlichen Materialen, wie das virusabtötende Kupfer der 5-Cent-Münze. Auf Grundlage der Testergebnisse könne „der Schluß gezogen werden, daß das Risiko einer Übertragung über Banknoten und Münzen sehr gering ist und daß Bargeld sicher verwendet werden kann“, schreiben die Studienautoren. Dieser Befund steht im Einklang mit anderen Untersuchungen, beispielsweise der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) mit Sitz in Basel.

Dieses eindeutige Ergebnis widerstrebt jedoch der offiziellen EZB-Politik zur Bargeldbeschränkung (JF 32/21). So wurde die 500-Euro-Banknote letztmalig 2019 ausgeben. In verschiedenen Euro-Ländern bestehen bereits Bargeldobergrenzen bei der Zahlung, und auf EU-Ebene wird eine einheitliche Grenze in Höhe von 10.000 Euro gefordert. Vorauseilend hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Banken angewiesen, ab August Herkunftsnachweise für Einzahlungen über 10.000 Euro zu verlangen. Wohl auch deshalb hat die EZB diese Studie mitten in der Ferienzeit veröffentlicht – obwohl sie bereits für den Juni vorgesehen war. Zudem fehlte die sonst übliche Pressemitteilung. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.