© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Joe Bidens Hintertür
Autoindustrie: Hohe Gewinne, doch dem Verbrenner soll es politisch an den Kragen gehen
Elias Huber

Nach dem Corona-Einbruch ziehen die Autokäufe weltweit an, insbesondere in Amerika und Asien. So wurden beispielsweise im ersten Halbjahr in den USA zwei Millionen neue „Compact Crossover“ verkauft. Das sind 37 Prozent mehr SUV à la Toyota RAV4, Ford Kuga/Escape oder Mazda CX-5 als im Vorjahreszeitraum. Sechs Meter lange Pick-ups wie der Chevrolet Silverado mit V8-Benzinmotor legten um elf Prozent auf 1,2 Millionen zu. Davon profitierten auch deutsche Autobauer: Der Absatz des VW Tiguan in der Langversion verbesserte sich um 37 Prozent auf 65.153, der des BMW-SUV X3 um 81 Prozent auf 36.273 und der des renditestarken SUV Audi Q5 um 86 Prozent auf 33.566.

Daimler erwirtschaftete im zweiten Quartal global einen Gewinn vor Steuern und Zinsen von 5,2 Milliarden Euro. Damit übertrafen die Mercedes-Bauer die Erwartungen der Analysten, die im Schnitt bei 4,1 Milliarden Euro gelegen hatten. VW steigerte im ersten Halbjahr den weltweiten Umsatz um knapp 42 Prozent auf 40,7 Milliarden Euro – nach einem schwachen Coronajahr 2020. Laut dem Handelsblatt wurden vorrangig margenstarke Premiumfahrzeuge gefertigt, weil Chips fehlten. Das habe die Gewinne befeuert.

Die Stimmung unter Autobauern und Zulieferern hellte sich denn auch auf: Der ifo-Indikator zur Geschäftslage stieg im Juli von 44,9 auf 56,8 Punkte. Das sei der beste Wert seit Juli 2018, teilte das Münchner Wirtschaftsinstitut mit. Auch die Gebrauchtwagenhändler frohlocken. Wer im Juli laut US-Arbeitsministerium einen Pkw aus zweiter Hand kaufte, zahlte 41,7 Prozent mehr als vor einem Jahr (JF 30/21). Der deutsche Autovermieter Sixt erwartet dauerhaft höhere Mietpreise. „Der weltweite Reisemarkt steht an einem Wendepunkt nach anderthalb Jahren Pandemie. Wir alle sehen den Wunsch und das Bedürfnis zu reisen“, sagte der Co-Chef Konstantin Sixt.

Gleichwohl ziehen über dem Pkw-Produktionsstandort Deutschland dunkle Wolken auf. Die Opel-Mutter Stellantis fürchtet, wegen fehlender Elektronikteile in diesem Jahr 1,4 Millionen Fahrzeuge nicht herstellen zu können. Laut einer ifo-Umfrage von Juli fehlten 83,4 Prozent der deutschen Autobauer und Zulieferer Vorprodukte – im April waren es noch 64,7 Prozent gewesen. Zudem zieht die EU ihre Klima-Regulierungsschraube weiter an. Das Programm „Fit for 55“ verlangt, daß die Emissionen von Neuwagen bis 2030 auf 55 Prozent des Ausstoßes aus dem Jahr 2021 sinken. Im Jahr 2035 sollen neu zugelassene Pkws und kleine Nutzfahrzeuge „emissionsfrei“ sein.

US-Präsident Joe Biden scheint da etwas realistischer zu sein. Seine „Executive Order on Strengthening American Leadership in Clean Cars and Trucks“ verlangt ab 2030 nur 50 Prozent „emissionsfreie“ Neuwagen. Und Plug-in-Hybride – Benziner oder Diesel, die auch einige Meilen rein elektrisch fahren können – zählen selbstverständlich dazu. Deutsche Autobauer verkündeten dennoch in vorauseilendem Gehorsam, künftig überhaupt keine Verbrenner mehr herstellen zu wollen. Die Daimler-Flotte soll ab 2039 „klimaneutral“ sein – was neue Ökokraftstoffe nicht ausschließt. Bei Audi soll schon 2033 Schluß sein. Aber der US-Verkaufsschlager Q5 wird ohnehin im südostmexikanischen San José Chiapa gefertigt. Weltweit sollen ab 2040 in „Schlüsselmärkten“ fast alle Autos des VW-Markenimperiums „Stromer“ sein.

Unternehmerischer Schrumpfungskurs?

BMW, dessen renditestarke SUV-Modelle ohnehin im Werk Spartanburg in South Carolina vom Band laufen, orientiert sich hingegen eher an Joe Biden. Bis 2030 sollen E-Autos zwar die Hälfte der Flotte ausmachen, aber einen festen Termin für das Verbrenner-Ende nannten die Münchner nicht. Die wahren Entscheider seien die Kunden, erklärte BMW-Chef Oliver Zipse. Wer sich zu schnell komplett vom Verbrenner verabschiede, gerate auf einen „unternehmerischen Schrumpfungskurs“. Diese medial unpopuläre Strategie könnte letztlich Früchte tragen, denn es sind noch einige Jahre hin bis 2035, und die politische Windrichtung könnte sich bis dahin nachhaltig drehen.

Helmut Becker, der 24 Jahre lang Chefvolkswirt bei BMW war, sieht die deutschen Autobauer daher nicht in einer Krise. Zwar hänge Brüssel dem Irrglauben an, E-Autos wären emissionsfrei, und der EU-Plan „Fit for 55“ (JF 32/21) sei eine „Herausforderung“ für die Autoindustrie weltweit. Aber Daimler & Co. hätten in den vergangenen Jahren globale Marktanteile hinzugewonnen.

Das zeige sich auch in den Bilanzen des ersten Halbjahr. „Die deutsche Autoindustrie ist heute technologisch breiter und vor allem tiefer aufgestellt als der übrige internationale Wettbewerb in toto“, findet Becker. „Nirgendwo auf internationalem Parkett ist ein einzelner Hersteller oder eine nationale Autoindustrie – auch in China nicht – erkennbar, die den deutschen Herstellern technologisch überlegen wäre.“ Das schließe nicht aus, daß einzelne Wettbewerber vorübergehend die Deutschen durch Innovationen in den Bereichen Elektronik und Chemie – etwa im Batteriebau für E-Autos – überholten. Dies werde aber „nicht von Dauer“ sein.

Dennoch gerät der klassische Produktionsstandort Deutschland unter zunehmenden Druck. Zwar ist die Beschäftigung in der Branche zwischen 2010 und 2019 gewachsen, aber die Inlandsproduktion ging zwischen 2016 und 2020 zurück. Laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) sank sie von 5,7 auf 3,5 Millionen Pkw. Das ist ein Minus von 39 Prozent. Weltweit schrumpfte die deutsche Autoproduktion laut Statista-Zahlen im gleichen Zeitraum um lediglich 18 Prozent. Vor allem margenschwache Klein- und Kompaktwagen werden immer weniger hierzulande hergestellt. BMW baut sogar die Limousinen der mittleren 3er-Reihe seit 2019 im neuen Werk im zentralmexikanischen San Luis Potosí.

Das ifo-Institut schätzt, daß der politisch forcierte Umbau Richtung E-Mobilität Arbeitsplätze kosten wird. Bis zum Jahr 2025 würden viel mehr Stellen wegfallen, als Beschäftigte in Rente gehen, warnt eine Studie im Auftrag des VDA. Demnach werden bis dahin 180.000 Arbeitsplätze überflüssig, wenn die Produktion von Verbrennern so stark zurückgeht, wie es die Abgasregulierung fordert. In den Ruhestand gehen aber bloß 75.000 Beschäftigte, davon 39.000 im Fahrzeugbau.

Joe Bidens Executive Order zur E-Auto-Quote:

whitehouse.gov

carsalesbase.com