© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Berechtigte Zweifel
Energiewende: Die Kohlemilliarden versickern im Nichts / Was wird aus den Arbeitern in den Tagebauen und Kraftwerken?
Paul Leonhard

Die FDP ist in Sachsen seit 2014 außerparlamentarische Opposition. Auf Bundesebene hoffen die Liberalen, bald mitzuregieren. Und die schwarzrotgrüne Landesregierung liefert ihr gute Argumente: Der Freistaat ist dabei, die Kohlemilliarden aus dem Strukturstärkungsgesetz schneller zu versenken, als die Energiewende eingeleitet werden kann. „Es gibt keine Anreize für private Investoren, keine Impulse für Start-ups und keine Unterstützung für den Mittelstand“, klagt Torsten Herbst, Schatzmeister des Landesverbandes und sächsischer FDP-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl.

Damit spricht Herbst aus, was kein Regierungspolitiker öffentlich eingesteht: Allein durch Investitionen in die marode Verkehrsinfrastruktur oder Forschungseinrichtungen werden keine dauerhaften Arbeitsplätze in den deutschen Braunkohleregionen in NRW und Mitteldeutschland entstehen. Dazu kommt: Um wenigstens Krümel von den Fördermillionen zu bekommen, entzweien sich Landkreise, Städte und Gemeinden und geben Unsummen für Gutachter aus, die geschickt die Bedeutung des jeweiligen kommunalen Prestigeprojektes herausarbeiten sollen.

Ladeboxen für E-Fahrräder und neue Bushaltestellenhäuschen

Götz Ulrich, CDU-Landrat des Burgenlandkreises, beklagt, daß das damalige Kenia-Kabinett in Magdeburg in der Kohlekommission keine „Leuchtturmprojekte“ unterbringen konnte. Das Mitteldeutsche Revier im Süden Sachsen-Anhalts und im Raum Leipzig werde benachteiligt. Die Bürgermeister in den Kohleabbauorten schauen neidisch auf die Großstädte, in denen auf ihre Kosten Forschungsinstitute angesiedelt werden. Andererseits sind sanierte Dorftanzsäle, Umgehungsstraßen, Kindergärten und Tierparks alles andere als nachhaltige Strukturmaßnahmen. Und mehr elektrifizierte Eisenbahnstrecken sind ohnehin überfällig (JF 33/21). Die Lokalpolitiker schreiben nun all jene Projekte auf ihre Förderliste, die sie sich seit Jahrzehnten nicht leisten, geschweige denn perspektivisch unterhalten können. So soll in Bitterfeld-Wolfen ein Spaßbad modernisiert, im niederschlesischen Görlitz sollen der Tierpark und die Straßenbahn ausgebaut werden. In Naumburg wurden für 800.000 Euro die Mauern des Doms geputzt. In Ostsachsen werden für 215 Millionen Euro Strukturentwicklungsgelder für Ladeboxen für Elektroräder, Fahrradwege, Bushaltestellenhäuschen und andere Formen der „kollektiven Beglückung“, wie die Sächsische Zeitung spottete, ausgegeben.

Bisher wurden Projekte mit einem Finanzierungsbedarf von rund 15,7 Milliarden Euro allein in Sachsen angemeldet. Es gebe eine große Kluft zwischen Erwartungen, Bedarf und Möglichkeiten, konstatierte SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig. Und die Stimmung im Land wird immer eisiger. Zumal der Bund seinerseits offene Großprojekte wie die Fertigstellung der Autobahn 72 – Hof-Chemnitz-Leipzig – aus Kohlegeldern finanzieren möchte. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer warnt vor diesen „kommunalen Investitionslisten“, hat aber auch nichts anderes zu bieten, denn Vorgaben des Bundes erlauben keine Förderung von Unternehmen, sondern allein Investitionen in wirtschaftsnahe und touristische Infrastruktur, Nahverkehr, öffentliche Fürsorge.

Und warum sollten sich Firmen 31 Jahre nach der Wiedervereinigung plötzlich in den Braunkohleregionen ansiedeln, wenn sie EU-weit willkommen sind? Speziell Polen lockt mit EU-Fördermilliarden. Welche besonderen Anreize bieten Bund und Länder? Keine. Gefördert würden vor allem Forschungs- und Infrastrukturprojekte, sagt Steffen Keitel, Präsident der IHK Halle-Dessau. Anreize für Investitionen könne er keine entdecken. Sichere Arbeitsplätze schaffen könne aber allein die Industrie. Ähnlich sieht es Detlef Hamann, Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden. Er habe „berechtigte Zweifel“, daß die ausgewählten Projekte geeignet seien, die Lausitz „strukturell neu auszurichten und wirtschaftlich zukunftsfest zu machen“.

Daß neue deutsche Forschungsinstitute „unmittelbare Impulse für die regionale Wirtschaft“ auslösen, daran hat nicht nur Joachim Ragnitz, Vize-Geschäftsführer der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts, seine Zweifel: Es werde bestenfalls ein regionaler Nachteil ausgeglichen, aber kein Standortvorteil geschaffen. An ein Jobwunder glaubt der Ifo-Ökonom nicht, für ihn ist es „eine unsichere Angelegenheit, ob da tatsächlich Arbeitsplätze in großer Zahl geschaffen werden“. Und daß bisherige Braunkohlebeschäftigte hier eine neue Stelle finden werden, erscheine ohnehin illusorisch. Insgesamt kostet der Kohleausstieg allein im Mitteldeutschen und Lausitzer Revier 40.000 Menschen gut bezahlte Jobs. Die jährliche Wertschöpfung liegt bei etwa 14 Milliarden Euro.

Doch CSU, Grüne und Linke wollen den Kohleausstieg sogar von 2038 auf 2030 vorziehen. Ob die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) nach der Wahl noch zu ihren Versprechen an die Kohlekumpel stehen, ist fraglich. Nur die AfD bekennt sich klar zu den Kohlerevieren. Deren Politiker fragen zu Recht: Was wird aus der Kohlestadt Hoyerswerda, aus den Braunkohlekraftwerken Boxberg und Schwarze Pumpe? Oder aus Neukieritzsch nahe dem Tagebau Schleenhain? In Weißwasser will das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – zuständig auch für die Verteilung der E-Auto-Förderung – immerhin eine Außenstelle eröffnen. Aber wie viele Kohlekumpel werden dort tatsächlich eingestellt?

Fahrplan des deutschen Kohleausstiegs: bmwi.de

Foto: Armin Laschet bei Rede zum Kohleausstieg: Verhandlungsmasse bei Koalitionsgesprächen?