© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Von edlen Wilden und Barbaren
Benin-Bronzen: Die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter im Kontext aggressiver Identitätspolitik
Dirk Glaser

Seit acht Wochen steht der Fahrplan für die Rückgabe der in deutschen Sammlungen befindlichen „Benin-Bronzen“ fest. Die ersten dieser Kunstwerke sollen schon 2022 auf die Reise in die Republik Nigeria gehen, die als Rechtsnachfolgerin des Königreichs Benin seit Jahrzehnten auf die Rückübereignung pocht. 

Warum Deutschland gerade mittels der Benin-Bronzen den Titel des Restitutionsweltmeisters erstrebt, während ehemals große Kolonialmächte wie England und Frankreich zögerlicher agieren, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Denn von den geschätzten 4.500 afrikanischen Objekten befinden sich zwar 440 im Ethnologischen Museum in Berlin und bilden immerhin, nach den 900 Stücken im British Museum, die zweitgrößte Sammlung der Welt. Aber es handelt sich dabei sowenig wie bei den anderen etwa 500 Erzeugnissen aus Beniner Kunsthandwerk, die deutschen, österreichischen und schweizerischen Museen gehören, um die vieldiskutierte „koloniale Beutekunst“, denn sie stammen ja aus legalen, noch vor dem Ersten Weltkrieg getätigten Ankäufen. Ihr Erwerb sei trotzdem nur „legal“, nicht „legitim“, wie die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) nun die rasche und „substantielle Rückgabe“ rechtfertigt. Moralisch unerträglich belastet seien diese „Galionsfiguren der Restitutionsdebatte“ (FAZ), weil sie aus einer 1897 unternommenen Strafexpedition britischer Kolonialtruppen gegen das im Südwesten des heutigen Nigeria gelegene Königreich Benin stammen. Die genauen historischen Hintergründe dieser Gewaltaktion verschweigen stets zu jeder Bußübung bereite Politiker wie Grütters allerdings gern, um sich der Schwarzweißmalerei des „postkolonialen Diskurses“ um so williger unterwerfen zu können. 

In Benin wurde ein Kult des Menschenopfers praktiziert

Zu diesem ausgeblendeten Hintergrund zählt im allgemeinen Afrikas Gewaltgeschichte vor dem Eintreffen der Europäer und im besonderen die Geschichte des Kriegervolks der Edo, deren Beniner Königreich jahrhundertelang ein Schrecken seiner Nachbarn war. Aus dem dort praktizierten Kult des Menschenopfers, den die Intervention britischer Militärs 1897 beendete, gingen die umstrittenen Bronzen hervor, wie die Göttinger Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin nur im neuen deutschen „Westfernsehen“, der Neuen Zürcher Zeitung, feststellen durfte (JF 23/21). Auch die bronzenen Porträts zeigen wahrscheinlich Totenköpfe, als Vorbilder für die „Künstler“ frisch von der Schlachtbank geliefert.

Insofern bekommt das hysterische Gekreisch der von Emmanuel Macron als Beraterin für Frankreichs Rückgabe-Planungen hinzugezogenen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy einen unerwartet realistischen Akzent: „Ich will wissen, wieviel Blut von einem Kunstwerk tropft.“ Das erführe sie in einem viel umfassenderen Sinn, als ihr lieb sein könne, wenn sie tiefer in die von ewigen Stammeskriegen und „Versklavungsökonomie“ (Egon Flaig) geprägte innerafrikanische Geschichte eintauchen würde, wie Sören Pünjer, Autor des Linksaußen-Magazins Bahamas, höhnt (Ausgabe 87, Frühjahr 2021). In Benin seien keine „edlen Wilden“ von weißen Barbaren überfallen, ihrer Kunstschätze und ihres „Kulturerbes“ beraubt worden. Mit diesem, der gegenwärtigen Debatte oktroyierten plumpen Täter-Opfer-Schema ließen sich die „interkulturellen Beziehungen“ zwischen Europa und Afrika nicht ehrlich, sondern nur auf dem Boden verlogener Geschichtsklitterungen gestalten.

Aber darum scheint es nach Pünjers Einschätzung weder bei Savoy noch bei einem anderen Macron-Berater, dem senegalischen Schriftsteller und Sozialwissenschaftler Felwine Sarr, zu gehen. Savoy und Sarr, die ihr Gutachten für Macron unter dem Titel „Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“ (2019) auf den deutschen Buchmarkt geworfen haben, benötigen ein möglichst simples Raster, um die komplette Restitution von Kunstwerken aus „kolonialem Kontext“ als „neue Ökonomie des Austausches“ verkaufen zu können, deren Ziel letztlich die Verwandlung der nationalen Identität europäischer „Zurückgeber“ ist. Um es mit dem von Pünjer zitierten „pseudopoetischen Unfug“ der „postmodernen Quasselstrippe“ Sarr zu sagen: Bei der Restitution handelt es sich um „die Begründung einer relationalen Ethik und einer neuen Art von Weltbezug, die auf der Anerkennung unserer gegenseitigen Abhängigkeiten und dem fundamental relationalen Charakter unserer Identitäten“ fuße. Wobei für Sarr wie für den von deutschen Medien hofierten Historiker und Theoretiker des Postkolonialismus Achille Mbembe nicht zweifelhaft sei, daß weiße Identität künftig mehr von schwarzafrikanischer Identität abhängen soll, weil die Völker des Schwarzen Kontinents nun einmal eine überlegene, durch die Rückgabe ihres in europäischen und angelsächsischen Museen verwahrten „Erbes“ bald nochmals gestärkte Kultur repräsentierten.

Im hohen Ton des reinsten „Essentialismus“, den Kohorten deutscher „Rechtsextremismus-Experten“ sofort mit Pawlowschem Reflex als „Höcke-Sprech“ entlarven würden, doziert Sarr unbekümmert über  „Afrikas Ausstrahlungskraft“: Sie sei ungeachtet der kolonialen Ära und der mit der Unabhängigkeit nach 1945 einsetzenden „bewegten jüngeren Geschichte im Bereich der Kultur“ so ungebrochen wie die sie tragenden, „gleich gebliebenen Eigenschaften“, der „Grundcharakter der Gruppen und Gemeinschaften“ (weiße Kulturanthropologen und Rassenpsychologen nannten das hier Gemeinte früher einmal „Wesen“). Der Homo africanus sei daher das Leitbild des wahren Menschen, der Gegenentwurf zum Homo oeconomicus des globalen Nordens. Diesen „tiefgreifenden Humanismus der afrikanischen Kulturen“ gelte es zu erneuern. Natürlich mit kräftiger materieller Hilfe des damit seine „Kolonialschuld“ abtragenden Nordens. Aber auf solche Erpressung laufe es für die Macrons und Grütters eben hinaus, wenn man sich seine Selbstkritik in Sachen Kolonialismus von dubiosen Figuren wie Sarr und Mbembe diktieren lasse.

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