© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Rückkehr der Seele in die Medizin in Sicht
Jeder Mensch ist spirituell
(dg)

Von einem marxistisch gut geschulten Moskauer Chirurgen ist die Häme überliefert, er habe schon in viele Körper geschaut, aber neben Hirn und Herz, Lunge und Leber noch nie eine Seele entdeckt. Man mußte im 20. Jahrhundert jedoch kein Materialist sein, um das von der Vorstellung einer Leib-Seele-Einheit geprägte antik-christliche Menschenbild für obsolet zu halten. Die empirisch nicht greifbare Seele verschwand im Laufe weniger Jahrzehnte aus dem medizinischen Blick. Soweit neben organischen Erkrankungen andere Beeinträchtigungen gesundheitlichen Wohlbefindens auftraten, schien man mit Hilfe der modernen Pharmakologie, die unentwegt  „stimmungsaufhellende“ Antidepressiva erzeugte, dagegen gewappnet. Die nicht erst während der Corona-Pandemie gestiegenen Zahlen psychischer Erkrankungen dürften diese Illusionen einer mechanistischen Apparate- und Pillenmedizin inzwischen erledigt haben. Der Theologe und praktizierende Psychotherapeut Michael Utsch glaubt darum bereits, eine „Rückkehr der Seele“ in der Krankenbehandlung registrieren zu können (zeitzeichen 5/2021). Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordere anzuerkennen, daß jeder Mensch spirituell  sei. Zukünftig möchte sie seelisches Wohlbefinden durch das Konzept „medizinischer Spiritualität“ festigen. Existentiell wichtige Sinn- und Wertfragen seien nur bedingt rational-wissenschaftlich zu beantworten. Es gelte mithin, verlorenes Bewußtsein für Zusammenhänge zwischen seelischem Heil und säkularer Heilung trotz „antireligiöser und spiritualitätskritischer Affekte“ bei vielen Psychiatern und Psychotherapeuten zurückzugewinnen. 


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