© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

„Gültig, lebendig und frisch“
Publizistik: Die Zeitschrift „The European Conservative“ erscheint in neuem Gewand
Andreas Lombard

Der Westen, insbesondere Europa und Nordamerika, ist in die heiße Phase eines Kulturkampfes eingetreten – mit Anzeichen eines neuen Weltbürgerkriegs. Besonders drastisch zeichnet das konservative Judentum der USA die Lage in seinem Sprachrohr Commentary: „Im Zuge der gewaltsamen Politisierung aller Bereiche des amerikanischen Lebens zielt der Pöbel darauf, das Land, wie wir es kannten, zu zerstören und durch ein neues zu ersetzen – durch ein Anti-Amerika, das Sprache für Gewalt gibt, Polizei für Gedankenpolizei, freie Presse für ein Netzwerk der Indoktrinierung und schließlich Respekt vor dem Bürger für Gehorsam gegenüber dem Pöbel. Es gibt nur eine Möglichkeit, das Chaos aufzuhalten: den Mob in seine Schranken zu weisen.“

Wer diese Diagnose für übertrieben hält, verkennt die Zerstörungswut einer auf Rasse, Gender und totale politische Korrektheit abstellenden, schon jetzt nahezu allgegenwärtigen Identitätspolitik. Abweichung und Widerspruch werden zunehmend gefährlich, zunächst für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, sodann für die persönliche Existenz.

Sprachrohr eines europäisch-amerikanischen Netzwerkes

Das Zitat ist dem Beitrag „Bittere Wahrheiten für Konservative“ von dem früheren amerikanischen Diplomaten Todd Huizinga in der neuen Ausgabe des englischsprachigen Magazins The European Conservative entnommen. In halbjährlicher Erscheinungsweise gibt es dieses Magazin seit 2008, getragen vom Center for European Renewal (Amsterdam). Für die Herausgabe des nun deutlich opulenter auftretenden, überwiegend klassisch bebilderten Periodikums zeichnet eine ungarische Nonprofit-Organisation in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Dokumentations- und Informationszentrum CEDI in Wien und der italienischen konservativen Denkfabrik Nazione Futura verantwortlich; Chefredakteur ist der italienische Journalist Mario Fantini.

The European Conservative soll ab sofort vierteljährlich erscheinen und an größeren Kiosken in Europa und Nordamerika erhältlich sein. Das Anliegen besteht laut Fantini darin, „auf der Grundlage gemeinsamer Werte starke und produktive Partnerschaften mit konservativen Intellektuellen und anderen Verbündeten in der ganzen Welt zu bilden“. Mit dem neuen Gewand „wollen wir zeigen, daß konservative Ideen sich ständig weiterentwickeln, gültig, lebendig und frisch sind“, so Fantini. Auch unter seiner neuen Trägerschaft (kaum zufällig in Ungarn als einem Hort des konservativen Widerstands) bleibt das Magazin Sprachrohr eines europäisch-amerikanischen Netzwerkes, das sich mit stetig wachsendem Zuspruch seit 2006 im Rahmen der Vanenburg-Konferenzen jedes Jahr an unterschiedlichen Orten Europas zusammenfindet.

Lesern des Magazins Cato sind viele Autoren dieses Kreises bereits bekannt, wie etwa der Journalist Karl-Peter Schwarz, der einstige Berater Margaret Thatchers John O’Sullivan oder eben Todd Huizinga. Letzterer zählt im neuen Heft neben David Engels zu den schonungslosen Analysten der aktuellen Lage: „Es kann sein, daß wir den politischen Kampf verlieren. Manche sagen, das sei schon passiert und im Westen habe bereits ein neues dunkles Zeitalter begonnen. Aber es geht im Leben um sehr viel mehr als um Politik und Kultur. Daran sollten Christen bei ihrem öffentlichen Engagement denken. (…) Nehmen wir Rod Drehers ‘Benedikt-Option’ ernst: ‘lebens- und widerstandsfähige Gemeinschaften bilden, auch inmitten von Verfolgung, um sicherzustellen, daß wir das neue dunkle Zeitalter überleben’.“

Ähnlich dramatisch klärt der polnische Philosoph und Europapolitiker Ryszard Legutko den Leser über die Gefährdung der Freiheit durch den Liberalismus auf, dem Legutko nicht nur Wehrlosigkeit gegenüber Gender-Mainstreaming und anderen Konzepten des Neomarxismus vorwirft, sondern sogar eine heimliche Komplizenschaft beim Abräumen altehrwürdiger Institutionen wie der Familie. Der Liberalismus begreift nicht, daß die Politik der „Vielfalt“ ein monistisches, freiheitsfeindliches Konstrukt bildet, weil der Liberalismus kein Organ dafür hat, daß die Vervielfältigung von Rechten es zugleich unmöglich macht, sie in ein kohärentes Ganzes zu integrieren. „Es wird sehr viel mehr Verlierer als Gewinner geben.“

Etwas unbefriedigend fällt dagegen der Beitrag des AfD-Bundestagsabgeordneten Marc Jongen aus: Die hinlänglich bekannte „Identitätsstörung“ der Deutschen mit einem „Nationalen Aktionsplan für kulturelle Identität“ sowie einer „Deutschen Akademie für Sprache und Kultur“ bekämpfen zu wollen und dies für einen Akt entschlossenen Widerstands gegen die Kulturrevolution von links zu halten, mutet reichlich naiv an.

Die Titelseite wird in Brüssel und Berlin für Erleichterung sorgen

Aber das Heft bietet noch sehr viel mehr, darunter ein schönes Lob der Nostalgie von dem Amerikaner Charles A. Coulombe („Wir suchen in der Vergangenheit einen Vorgeschmack des Himmels“), eine nachgelassene Vorlesung von Sir Roger Scruton über „Das Heilige, das Profane und das Entweihte“, ein Plädoyer des Literaturwissenschaftlers Kurt Hofer für Nation, Landwirtschaft und Familie aufgrund der Lehren, die sich aus dem Niedergang des ppanischen Weltreiches im 17. Jahrhundert ziehen lassen, sowie einen Essay über den Vorrang einmal nicht der Religion, sondern der Natur vor der Politik von dem Budapester Politikwissenschaftler András Lánczi. Hinzu kommen Nachrufe und Rezensionen.

Das einzige Problem dieses reichhaltigen Magazins ist seine Titelseite: Die Feuerwalze der Revolution wird „der Konservative“ niemals mit dem Bewahrenwollen stoppen, erst recht nicht auf europäischer Ebene. Daß der Illustrator Michael Pleesz auf dem Cover Theseus zum fairen Armdrückwettberb mit dem Minotaurus antreten läßt statt zum vernichtenden Schlag mit der Keule, wird in Brüssel und Berlin für Erleichterung sorgen. Der Gewaltverzicht hat ja auch manches für sich. Aber ohne List und Tücke wäre der Konservatismus schon jetzt verloren.

Kontakt: European ­Conservative Nonprofit Ltd, 24 Eötvös Street, ­Budapest H-1016, Hungary. Das Einzelheft kostet 9,99 Euro.

 https://europeanconservative.com

Foto: Blick in die englischsprachige Viertel-jahreszeitschrift „The European Conservative“: Bittere Wahrheiten für Konservative