© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Feindesliebe I: In einem Beitrag der Neuen Zürcher Zeitung hat der reformierte Theologe Josef Hochstrasser Überlegungen zur Nächsten- und Feindesliebe angestellt. Er verweist dabei auch auf das Wort vom Wangenschlag, den man nicht erwidern soll. Allerdings entgeht ihm dabei ein Detail: Denn Jesus betont, daß, wenn man auf die rechte Seite geschlagen werde, man auch die linke hinhalten solle. Vorausgesetzt, daß der Angriff von einem Rechtshänder erfolgt, trifft der erste Schlag im Regelfall die linke Seite des Gegenübers. Wer die rechte treffen wollte, müßte mit dem Handrücken schlagen. Ein solcher Schlag gilt von jeher nicht nur als körperliche Attacke, sondern als entehrend. Im Judentum der Zeit Jesu wurde der „Ketzerschlag“ auf diese Weise ausgeführt, mit dem man einem Gemeindemitglied zeigte, daß es Irrlehren vertrat. In diesem Kontext – und nicht in der von Hochstrasser gewünschten Verallgemeinerung – erscheint das von Jesus seinen Anhängern empfohlene Verhalten sinnvoll. Die verbreitete Vorstellung des auf Wehrlosigkeit setzenden Pazifisten aus Nazareth ist schon deshalb zweifelhaft, weil Jesus beim Verhör durch den Hohen Rat auf einen Schlag durch einen Büttel mit den Worten reagierte: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“ (Johannes 18,23).

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Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat den „Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr“, „den über 150.000 Männern und Frauen in Uniform“ gedankt, die sich während des Afghanistan-Einsatzes „immer wieder aufopferungsvoll engagiert haben“. Nur zur Klarstellung: Unter den 35 im Kampf Gefallenen zählt man 35 Soldaten, keine Soldatin.

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Eigenartig ist die Konjunktur des Themas „Zeitschleife“ in den populären Medien, vor allem im Film. Es kann dabei nicht nur um die Faszination des Gedankens gehen, in die Vergangenheit oder die Zukunft zu reisen. Die Vorstellung, daß man Gelegenheit bekommt, eine Aktion so lange zu wiederholen, bis sie erfolgreich ist – ganz gleich, ob es um das Rendezvous mit der wahren Liebe, den Sieg über die Außerirdischen oder die Rettung der Welt geht –, gewinnt für den Menschen der Gegenwart offenbar eine Plausibilität, die wahlweise mit Geschichtsverlust oder der aus der virtuellen Existenz abgeleiteten Vorstellung erklärt werden kann, daß sich im Zweifel auf eine Reset-Taste drücken läßt.

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Etwas Anrührendes hat, was man baltendeutsche Nostalgie in Ländern wie Lettland oder Estland nennen könnte. Die in Tallinn am weitesten verbreitete Kaffeehauskette trägt den Namen Reval, in Haapsalu heißt die beste Bäckerei wie der Vorgänger „Dietrich, Hapsal“ und in Kuressaare auf der Ostseeinsel Insel Saaremaa greift, wer gediegen wirken möchte, auf den alten deutschen Namen Arensburg zurück. Das alles hat weder eine im strengen Sinn historische noch eine politische Dimension. Allerdings verblüffte mich der Kurator eines kleinen Museums in Tallinn doch mit der Bemerkung: „Alles, was in unserer Stadt großartig ist, haben die Deutschen gemacht.“

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Zum Tod des Literaturwissenschaftlers und Publizisten Karl Heinz Bohrer: Anfang der 1980er Jahre lernte ich einen Studenten kennen, der in Bielefeld für Literaturwissenschaft eingeschrieben war und im Seminar Bohrers, des neuen Stars der Disziplin, gesessen hatte. Das weckte meine Neugier, denn von Bohrer stammte ein Buch – „Die Ästhetik des Schreckens“ – das sich mit einem Thema – Ernst Jünger – befaßte, das als solches schon „verdächtig“ war. Zu meiner nicht geringen Enttäuschung erzählte mir der junge Mann, daß Bohrer keine Gelegenheit ausließ, deutlich zu machen, daß er von Jünger wenig hielt und keinesfalls dessen weltanschauliche Positionen teilte. Damit war immerhin etwas geklärt, was bis dahin für Irritationen gesorgt hatte. Denn aufgrund seiner Parteinahme für Preußen und gegen das Piefige der Bundesrepublik, für Thatchers Falklandkrieg – unvergeßlich Bohrers Feuilletonbeiträge und die harsche Kritik am westdeutschen „Ethos der Mainzelmännchen“ – und überhaupt alles Britische hatten die Annahme genährt, daß er „einer von uns“ sei. Sicher war da von Anfang an Wunschdenken im Spiel, auch Urteilslosigkeit. Aber nicht nur. Bohrer gehörte zu einer Generation (Jahrgang 1932), deren Begabte sehr genau wußten, daß „rechts“ nichts zu holen war. Also begnügte man sich mit dem Oszillieren und jener Art Romantik, die sich über die ständige Suche nach dem „Interessanten“ definiert.

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Feindesliebe II: Die Ermordung des französischen Priesters Olivier Maire durch den (wahrscheinlich) aus Ruanda stammenden Emmanuel Abayisenga hat insofern einen besonders bitteren Aspekt, als es kirchliche Stellen waren, die dem Illegalen mit Fluchterfahrung nicht nur eine Bleibe und ein Auskommen verschafft hatten, sondern auch nach dem von ihm im Vorjahr verübten Brandanschlag auf die Kathedrale von Nantes wünschten, daß von einer Strafverfolgung abgesehen werden möge.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 3. September in der JF-Ausgabe 36/21.