© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Auf den Spuren einer mörderischen Mission
Literatur: Franzobels Roman „Die Eroberung Amerikas“ erzählt vom Leben des spanischen Konquistadoren Hernando de Soto
Filip Gaspar

Die Namen der spanischen Konquistadoren Francisco Pizarro, Hernán Cortés und Lope de Aguirre werden die meisten schon einmal gehört haben. Doch wem sagt der Name Hernando de Soto etwas? Wahrscheinlich um das Jahr 1500 in Barcarrota geboren, führte dieser spanische Edelmann ein ereignisreiches Leben voller Höhen und Tiefen.

Sein Weg führte ihn zuerst nach Panama, bevor er zusammen mit Francisco Pizarro Peru eroberte. De Soto war der erste Europäer, der auf den Inkakönig Atahualpa traf. Er brachte ihm nicht nur das Schachspiel bei, sondern heiratete seine Tochter und zeugte ein Kind mit ihr. Außerdem nahm er an vielen weiteren erfolgreichen Expeditionen für die spanische Krone teil. Unter erfolgreich ist hier die Beschaffung von Gold zu verstehen, mit welchen Mitteln auch immer. Durch die Versklavung der Ureinwohner und den Handel mit ihnen kam er zu großem Wohlstand. Als reicher Mann kehrte er dann nach Spanien zurück, ließ sich einen Palast errichten und wurde eine Berühmtheit.

Die Rahmenhandlung spielt in der Gegenwart

An diesem Punkt hätte er sich zurückziehen und sein Leben genießen können, doch es zog ihn noch ein weiteres Mal in die Neue Welt. 1538 schickte ihn Kaiser Karl V. los, um Florida zu erobern. Begleitet wurde er von 800 Männern und einer Frau, die sich als Mann ausgab. Dazu noch 300 Pferde, Schweine, Ziegen sowie blutrünstige Doggen, die auf die Ureinwohner gehetzt wurden. Doch die Expedition entwickelte sich zu einer Katastrophe. Statt auf Gold stießen sie auf feindselige Ureinwohner, Krankheiten und eine schier unbezwingbare Natur. Ganze vier Jahre quälte de Soto sich und seine Gefolgschaft durch diese den Verstand raubende Wildnis, die wir heute als Amerika kennen. Sie missionierten viele Ureinwohner. Doch ebendiese töteten einen Großteil seiner Mannschaft.

Besonders an de Sotos Lebensgeschichte ist, daß er weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Und das, obwohl (oder vielleicht gerade weil) er die erfolgloseste und verheerendste Expedition angeführt hat. Diese Geschichte erzählt der österreichische Autor Franzobel (eigentlich Franz Stefan Griebl) in seinem neuen Roman „Die Eroberung Amerikas“. Der Gewinner des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs 1995 verpackt die Geschichte um de Soto in eine Rahmenhandlung, die in der Gegenwart spielt.

Der eher mäßig erfolgreiche amerikanisch-jüdische Anwalt Trutz Finkelstein schafft es, die Ureinwohner-Stämme der Vereinigten Staaten zusammenzubringen. Diese klagen daraufhin auf die Rückgabe des gesamten Landes, inklusive Alaska und Hawaii. Franzobel ist für dieses Buchprojekt seinem Antihelden de Soto nachgereist und hat viele Details und Hintergrundinformationen in Spanien und Kolumbien recherchiert. So trifft der Leser während der Expedition einen Spanier, der über zehn Jahre lang bei einem indigenen Stamm zubrachte, nachdem dieser den Rest seines Trupps ermordet hatte. Er schließt sich de Soto an und dient fortan als Übersetzer und Reiseleiter. Oder die bereits oben erwähnte Frau, die sich als Mann verkleidete, um an der Expedition teilnehmen zu können. Und das sind nur zwei der skurrilen Personen, denen man im Laufe der Handlung begegnet.

Doch auch wenn es so anmuten mag, ist das Geschehen oft nicht zum Lachen. Sich widersetzende Ureinwohner werden von den Konquistadoren zu Tode geprügelt, Frauen und Mädchen vergewaltigt und versklavt. Leute wie de Soto waren eben nicht bloß abenteuerlustig, sondern schreckten auch nicht vor Mord zurück, um ihre Ziele zu erreichen. Doch gerade der Humor erfüllt den Zweck, daß der Leser nicht am Weiterlesen gehindert wird.

Zudem verwendet Franzobel weitere literarische Kniffe. Seine Figuren nutzen die Sprache des 21. und nicht die des 15. Jahrhunderts. Oft gelingt dieser humoristische Zugriff, zum Beispiel wenn der Koch die Kartoffel entdeckt und erklärt, daß deren Knolle in Streifen geschnitten, in Öl gebraten und mit roter Sauce serviert nicht schmecken werde. An manchen Stellen wirkt diese Methode zwar überladen, doch erweist sich die Lektüre in diesen Momenten als Vergnügen.

Von Eifersucht und Erfolglosigkeit in den Wahnsinn getrieben, stirbt Hernando de Soto an den Folgen eines Fiebers ausgemergelt am Mississippi, ohne zu wissen, daß er ebendiesen entdeckt hat. Franzobel hat dem Vergessenen ein literarisches Denkmal gesetzt. 

Franzobel: Die Eroberung Amerikas. Roman. Zsolnay, Wien 2021, gebunden, 543 Seiten, 26 Euro