© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Rächerin der Frauenwelt
#Metoo schlägt zurück: In dem Drama „Promising Young Woman“ müssen Männer für ihre Sünden büßen
Dietmar Mehrens

Was tust du da?“ fragt Cassandra (Carey Mulligan) den zudringlichen Verehrer, der sie gerade aufs Bett geworfen hat. Es ist der Moment, in dem die Masken fallen: Dem Mann geht es nur um Sex, und die Frau, die eben noch schwer alkoholisiert wirkte, ist in Wahrheit ganz bei sich, ihre Stimme energisch, entschlossen. Der brüskierte Wüstling läßt irritiert von ihr ab. Mission erfüllt. 

Cassandra ist kein Opfer. Sie ist eine Art weiblicher Batman – ohne Batmobil und Fledermauskostüm, dafür mit einer eindeutigen Mission: Die attraktive Blondine, die den Namen der trojanischen Untergangsprophetin trägt, ist die Rächerin der Frauenwelt. Und wie Lisbeth Salander aus Stieg Larssons Millennium-Trilogie, ihr literarisches Vorbild, vergibt und vergißt sie nichts. In einem Notizbüchlein führt sie eine Strichliste über zur Strecke gebrachte Unholde. Cassandras Motivation ist das, was ihrer Freundin Nina zugestoßen ist, einer vielversprechenden jungen Frau, deren Karriere jäh endete. Was genau mit Nina passiert ist, darüber läßt die britische Regisseurin Emerald Fennell (35) ihre Zuschauer lange im unklaren – einer der Gründe für die gut funktionierende Spannungsdramaturgie des Films. 

Moraldefekte werden schonungslos zur Schau gestellt

Als Cassandra, die ganz unscheinbar in einem Kaffeehaus bedient, dort den Kinderarzt Ryan (Bo Burnham) kennenlernt, der so ganz anders zu sein scheint als die Männer, die sie bisher getroffen hat und die, zum Leidwesen ihrer Eltern, eher Verachtung als zärtliche Gefühle in ihr ausgelöst haben, wird die Rächerin der Entehrten irre an ihrem selbstgewählten Auftrag: Gibt es den edlen Ritter, von dem jede Frau heimlich träumt, womöglich doch? Wohin die Reise geht – glücklicher Ausgang oder finale Katastrophe –, zeigt sich erst im verstörenden Finale.

Das von Emerald Fennell selbst verfaßte Drehbuch, oscarprämiert, ist Hollywoods längst erwarteter Beitrag zur #Metoo-Debatte und versucht auch gar nicht erst, das zu kaschieren. Hauptdarstellerin Carey Mulligan hatte sich schon 2018 lobend über die Bewegung geäußert und wird auch in der Verfilmung des Weinstein-Skandals „She Said“ mitspielen. 

Neben der schon genannten Lisbeth Salander standen auch die Achtziger-Jahre-Klassiker „Extremities“ (1986) mit Farrah Fawcett und „Angeklagt“ (1988) mit Jodie Foster Pate. Ganz neu ist das Thema also nicht. Das gilt auch für die im Film schonungslos zur Schau gestellten Moraldefekte: Alkoholmißbrauch, Promiskuität und sexuelle Enthemmung. Auf Junggesellenabschieden feiern sie fröhliche Urständ, wenn Prostituierte aus Torten springen oder im Krankenschwesterkostüm vor der Tür stehen und das auch noch alle lustig finden. Eine Regisseurin, die gegen diese Libertinage eine kratzbürstige Amazone zu Felde ziehen läßt, findet auf den Sittenverfall zwar eine publikumswirksame Antwort; sie kratzt damit aber nur an der Oberfläche eines viel tiefer sitzenden gesellschaftlichen Elends.

Zwischen hochsensibel und hysterisch schwankten in letzter Zeit die Reaktionen von Frauenrechts- und anderen Identitätsgruppen, wenn diese sich angegriffen fühlten. Nähme sich die Männerwelt daran ein Beispiel, müßte sie gegen Fennells Film auf die Barrikaden gehen, Flammenwerfer wie Männerhaß oder Ressentiment in Stellung bringen und mit Hilfe eigens neu geschaffener Kampfbegriffe (Androphobie? Misandrie?) ein Riesengeschrei veranstalten. Wie schön, daß es noch entspannte Menschen beiderlei Geschlechts gibt, die nicht an jeder Ecke eine Anstiftung zum Klassen- oder Rassenhaß wittern. Sie dürfen sich freuen auf ein fesselndes und atemraubendes Kinoerlebnis.

Kinostart ist am 19. August 2021

Foto: Carey Mulligan als Cassandra: In einem Notizbüchlein führt sie eine Strichliste über zur Strecke gebrachte männliche Unholde