© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

„Putsch“ der ÖVP
Nähe zu Kanzler Kurz: Die Wahl des neuen ORF-Generaldirektors sorgt für Diskussionen
Ronald Berthold

In Österreich tobt eine Schlammschlacht um die Spitzenposition beim ORF. Nach der Wahl Roland Weißmanns zum neuen Generaldirektor vergangene Woche steht der Einfluß der Politik und des Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk massiv in der Kritik.

Dabei geht die Empörung durch alle politischen Lager, mit Ausnahme der regierenden ÖVP und der Grünen. Die FPÖ sprach von einem „Putsch“ der ÖVP. Die linken Schriftsteller Elfriede Jelinek, Michael Köhlmeier und Robert Menasse werfen den Grünen „Unterwerfung“ vor. Und die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Irmgard Griss beklagt, daß der ORF „als Spielball für Machtpolitik und Postenschacher mißbraucht wird“.

Was ist passiert? Nach 15 Jahren muß der Sozialdemokrat Alexander Wrabetz seinen mit 400.000 Euro dotierten Posten als Generaldirektor räumen. Der 61jährige erhielt im von den politischen Parteien dominierten 35köpfigen Stiftungsrat nur sechs Stimmen. Für den ÖVP-Kandidaten Weißmann votierten 24 Ratsmitglieder. Im Vorfeld hatte Kanzler Kurz die „Freundeskreise“ seiner Partei auf die Wahl eingeschworen. Obwohl eine einfache Mehrheit gereicht hätte und die ÖVP diese deutlich übertrifft, nahm sie den grünen Koalitionspartner mit ins Boot und versprach ihm bei der Unterstützung Weißmanns offenbar zwei der vier Direktoren beim ORF. Die drei Grünen wählten mit, und so kam es bei der offenen Abstimmung zur Zweidrittelmehrheit. Weißmann wird die Stellen am 16. September besetzen. Er bestreitet die Absprachen. Die grüne Medienpolitikerin Eva Blimlinger räumte den Deal im Standard jedoch ein: „Würden die grünen Vertreter bei der Wahl Weißmanns nicht mitgehen, wäre der Einfluß der ÖVP im ORF am Ende größer.“

Der ORF mit seinem Budget von einer Milliarde Euro und 3.000 Mitarbeitern hat im Fernsehbereich einen Marktanteil von 36 Prozent, seine zwölf Radiosender erreichen drei Viertel der Österreicher. Seit jeher wird die Führung des Senders durch die Parteien bestimmt. Neun Mitglieder entsendet die Bundesregierung in den Stiftungsrat, weitere neun die Bundesländer, und sechs vertreten die Stärkeverhältnisse im Parlament – insgesamt also 24.

Nun ist die Aufregung groß – zumal Noch-Generaldirektor Wrabetz vorher in Interviews enorm Stimmung machte, seine bevorstehende Abwahl beklagt hatte und diese politisch motiviert nannte. Er sagte sogar, daß es „keine freie Abstimmung geben wird“. Die Atmosphäre war schon vorher aufgeheizt.Der 53jährige Weißmann, seit 26 Jahren beim ORF und zuletzt Chefproducer, konnte die Wogen nach seiner Wahl nicht glätten, obwohl er seine Unabhängigkeit betonte und ankündigte, den Sender „diverser“ zu machen.

Eingehegt und abhängig von den Parteien

Aber im Interview mit seinem Sender blamierte er sich bis auf die Knochen. Er stellte sich dem bekanntesten österreichischen Journalisten, dem ORF-Nachrichtenmoderator Armin Wolf, der schon vor der Wahl beklagt hatte, daß sich keine guten Leute als Generaldirektor bewerben, „weil allen klar ist, daß der Job politisch ausgedealt wird. Es ist zum Weinen.“ Auf Wolfs Frage, warum er überhaupt gegen Wrabetz angetreten sei und was er besser könne, patzte Weißmann. Offenbar hatte ihn niemand auf diese in jedem Bewerbungsgespräch übliche Frage vorbereitet. Er schwieg vor laufender Kamera auffallend lange, atmete mehrfach schwer durch, um dann zu sagen: „Es ist jetzt gar nicht die Frage, was jemand besser kann.“ Daß es bei seiner Nominierung ausschließlich um seine Nähe zu Kurz und der ÖVP ging, hatte er damit indirekt bestätigt. Ein gefundenes Fressen für seine Kritiker.

Allerdings geht es diesen gar nicht um Weißmann. Es geht um Macht. Als die Linke über die Mehrheit im Stiftungsrat verfügte, handelte sie ebenfalls politisch motiviert. In die momentane Empörung mischen sich viel Heuchelei und die Unfähigkeit, verlieren zu können. Die Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks krankt an der Abhängigkeit von den Parteien. Der ORF ist seit Jahrzehnten ein Symbol dafür, wie sich vor allem ÖVP und SPÖ alle gesellschaftlichen Institutionen Untertan gemacht haben. Der Einfluß reicht in alle Lebensbereiche. 

Weißmann wird seinen Posten zum Jahreswechsel antreten. Vorher will Wrabetz noch Fakten schaffen und unter anderem neue Chefredakteure bestellen. Der SPÖ-Mann betonte provokativ: „Ich trage die alleinige Verantwortung gemäß ORF-Gesetz, was in den nächsten Monaten geschieht.“ Er werde alles tun, damit Weißmann „sich leichter tut, um Erwartungen, die an ihn gerichtet werden, nicht zu erfüllen“.