© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Opfer einer Hetzkampagne
Vor 100 Jahren wurde der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger ermordet
Ralf Fritzsche

Es war am 26. August 1921, als Mat-thias Erzberger mit seinem Parteifreund Carl Diez einen Spaziergang durch den Schwarzwald bei Bad Griesbach machte. Plötzlich tauchten zwei Männer,  die ehemaligen Marineoffiziere und Mitglieder der rechtsextremistischen Organisation Consul Heinrich Tillessen und Heinrich Schulz, vor ihnen auf. Sechsmal wurde auf Erzberger geschossen, der schwer verletzt eine Böschung hinabrollte. Einer der Männer führte die Tat zu Ende, indem er Erzberger zweimal tödlich in den Kopf traf. Damit wurde ein deutscher Politiker ermordet, dem man zu Unrecht die Mitschuld an der Niederlage im Ersten Weltkrieg vorwarf. Die Mörder tauchten darauf in Ungarn und Spanien unter.

Matthias Erzberger wurde am 20. September 1875 in Buttenhausen im damaligen Königreich Württemberg geboren. Aufgrund seiner exzellenten schulischen Leistungen strebte er zunächst eine Karriere als Lehrer an. Doch sein politisches Interesse erwies sich als stärker. Er engagierte sich nicht nur stark in der katholischen Zentrumspartei, sondern wurde auch Redakteur beim katholischen Deutschen Volksblatt in Stuttgart. Um seiner Stellung als baldiger Hauptmitarbeiter voll gewachsen zu sein, nahm er alsbald ein Studium der Nationalökonomie und des Staatsrechts auf.

1903 wurde er als damals jüngster Abgeordneter in den Reichstag gewählt und dort ein ausgewiesener Experte für Militär-, Kolonial- und Finanzpolitik. War er zu Beginn des Ersten Weltkrieges ein Anhänger des deutschen Siegfriedens mit großzügigen Annexionen für das Reich, so vollzog er gegen Ende 1916 eine Wende, da er aufgrund seiner Kontakte zu den höchsten Reichsbehörden tiefe Einblicke in die wirkliche militärische Lage Deutschlands erhielt. Ein Verständigungsfrieden schien ihm die einzige Chance, für Deutschland noch einen erträglichen Friedensschluß „herauszuholen“, zumal sich 1917 durch den Kriegs-eintritt der USA die Lage für das Reich verschlechterte.

Sein Verhängnis, das ihn in den Augen seiner Gegner zum „Novemberverbrecher“ und „Dolchstoßler“ machte, war, daß er auf Drängen des Reichskanzlers Max von Baden, aller Staatssekretäre und des Auswärtigen Amtes zum Leiter der Waffenstillstandskommission ernannt wurde. So unterzeichnete Erzberger denn auch am 11. November 1918 – übrigens auf ausdrücklichen Wunsch Paul von Hindenburgs – als Leiter der vierköpfigen deutschen Delegation den Waffenstillstandsvertrag gegenüber dem französischen Marschall Ferdinand Foch in Compiègne.

Als Reichsminister für Finanzen setzte er die Erzbergersche Reform durch, die das Steuerrecht im Reich reformierte und noch heute als Grundlage für unser Steuersystem gilt. Aufgrund eines im Januar 1920 in Berlin erfolgten Pistolenattentats, das Erzberger nur leicht verletzte, das ihm aber die Bedrohungslage sehr deutlich machte sowie aufgrund einer rechten Hetzkampagne gegen ihn trat er am 12. März 1920 als Reichsfinanzminister zurück. Sein Leben konnte dieser Schritt nicht mehr retten.