© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Keine Transformation der Landwirtschaft
Das Scheitern des UN-Welternährungsgipfels scheint programmiert / Mehr Ökohöfe statt Agrarindustrie?
Christoph Keller

Parallel zu ihrer rituellen Vollversammlung im September in New York richten die Vereinten Nationen in diesem Jahr dort auch einen Welternährungsgipfel (UN Food Systems Summit 2021) aus. Ginge es nach den stellvertretend für zahllose Nichtregierungsorganisation (NGO) formulierten Wünschen von Francisco Marí und Stig Tanzmann, bestünde damit endlich Aussicht, das Welternährungssystem einer „Großen Transformation“ zu unterziehen. Was diese beiden Agrar-Referenten von „Brot für die Welt“ sich von dieser Veranstaltung erhoffen, deckt sich durchaus mit der offiziellen deutschen Position, wie sie Ulrich Seidenberger, der Ständige Vertreter Deutschlands bei der in Rom residierenden UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und ihrem Ausschuß für Welternährungssicherheit (CFS), verficht (Vereinte Nationen 3/21).

Der 60jährige Spitzendiplomat, bis Februar auch Präsident des Exekutivrates des UN-Welternährungsprogramms (WFP), legt die Latte besonders hoch. Der Gipfel solle nicht nur dazu beitragen, krisenfeste und nachhaltige Ernährungssysteme zu schaffen, sondern die neue agrarpolitische UN-Strategie verknüpfen mit der globalen Bekämpfung der Klimakrise und der Pandemiefolgen, sowie mit den Anstrengungen zur Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen und zur Armutsbekämpfung im Landwirtschaftssektor. Die Chancen, daß in New York auch nur der Startschuß für den Neubau der Welternährungsarchitektur fällt, tendieren für Marí und Tanzmann jedoch gegen Null.

UN-Agenda will den Hunger trotz Bevölkerungswachstums besiegen

Sei doch bereits im Vorfeld erkennbar, daß sich „das nachhaltigste Produktionssystem“, die Agrar­ökologie, die sich auf Kleinbauern, Fischer, Hirten stützt und sich durch tradierte Anbaumethoden, Ertragsstabilität und lokale Märkte empfiehlt, nicht gegen das herrschende industrielle System werde durchpauken lassen. Denn sonst würden FAO und CFS jetzt nicht ein „Nebeneinander“ des nach Jahrzehnten verfehlter Landwirtschafts- und Ernährungspolitik definitiv gescheiterten „agrarindustriellen Projekts“ und des allein „progressiven“ Öko-Landbaus propagieren, sondern klar für letzteres votieren.

Es dürfte also weitergehen mit der durch maximalen Einsatz von Mineraldüngern und Pestiziden gesteigerten Erzeugung weniger kalorienreicher Produkte. Ganze zwei Drittel der globalen Ernte werden heute mit nur neun Pflanzenarten gewonnen, was zu Fehlernährung, zu Eiweiß- und Vitaminmangel, Unterernährung und seit 2014 wieder vermehrt zu Hungerkrisen geführt habe. Obwohl doch die UN-Agenda 2030 bis zu diesem Jahr das ehrgeizige Ziel vorgibt, den Hunger weltweit besiegt zu haben.

Ein Ziel, das aber mit einer von Agrarkonzernen dirigierten industriellen Landwirtschaft unerreichbar sei. Wie das Beispiel Brasilien – eine der globalen „Großmächte“ beim lukrativen Lebensmittel, Futter- und Rohstoffexport – zeige. Dort gelang der linkspopulistischen Arbeiterpartei (PT) seit 2000 mit einer Kombination von Sozialpolitik und Agrartransformation „der Weg aus dem Hunger“. Heute gelten wieder 19 Millionen Brasilianer als vom Hunger, 117 Millionen als von Unterernährung betroffen – bei insgesamt 212 Millionen Einwohnern. Das sei das Resultat des 2016 eingeschlagenen Kurswechsels „rechter“ Regierungen zurück zur neoliberalen Agrar- und Sozialpolitik. Ähnlich desaströse, von der Corona-Pandemie brutal offengelegte Folgen zeitige das etablierte Ernährungssystem in Indien und den meisten Ländern Afrikas und Lateinamerikas.

UN Food Systems Summit 2021:  www.un.org

Evangelisches Hilfswerk „Brot für die Welt“:  www.brot-fuer-die-welt.de